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Alkoholische Katastrophe

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Im Mai 1969 stürmten erboste Weinbauern fast das Bundeskanzleramt. Im Mai 1970 drohte ein neuer Bauernsturm. War es im Vorjahr die Einführung der zehnprozentigen Alkoholsteuer, ist es heuer die zunehmend triste Situation des Weinbaues in Österreich, die durch den in der Zwischenzeit gebildeten Wein-wirtschaftsfonds so gut wie gar nicht verbessert wurde.

Die Absicht des Weinwirtschaftsfonds war es, langsam zu einer absetzbaren Produktionsmenge zu kommen und mitzuhelfen, den Weinpreis für den Produzenten zu stabilisieren. Nunmehr allerdings dürften in den österreichischen Weinfässern rund 600.000 bis 800.000 Hektoliter Wein zuviel lagern. Die Weinernten der Vorjahre waren ausgesprochene Rekordernten gewesen: 1967 ernteten Österreichs Winzer 2,6 Millionen Hektoliter, 1968 waren es immerhin nahezu 2,5 Millionen. Erst 1969 betrug die Ernte 2,256.000 Hektoliter, was jährlich und tatsächlich abgesetzt werden kann.

Die andauernde Überschußsituation hat aber nunmehr doch dazu geführt, daß der Produzentenpreis für Wein einen absoluten Tiefstand erreicht hat. Der Pressedienst des Instituts für Gesellschaftspolitik meldet, daß im niederösterreichischen Weinviertel ein Liter Wein von 1965 bis 1969 einen Durchschnitts-Verkaufspreis für den Weinbauern von 5,80 Schilling je Liter erreichte; nunmehr ist dieser Preis auf 4 bis 4,30 Schilling abgesunken. Damit ist das eingetreten, was vorausblickende Experten schon bei der seinerzeitigen Verabschiedung des Weinwirtschaftsfondsgesetzes befürchteten: Dem Produzenten wird im Grunde kaum geholfen werden. Damals, 1969, als randalierende Bauern den ÖVP-Bundeskanzler zu Maßnahmen zwingen wollten, richtete sich ihr Unmut gegen die Sondersteuer, von der sie annahmen, daß sie nicht auf den Konsumenten überwälzbar wäre, sondern an ihnen „hängenbleiben“ würde. Auf Transparenten machten sie ihrem Zorn Luft:

„Kudlich riß den Zehent nieder — Koren bringt ihn uns jetzt wieder.“ Und tatsächlich mußten seither die Weinbauern Einkommenseinbußen erleiden, die ihnen der Handel in vielen Fällen aufdiktierte. Denn am Konsumentenpreis für den Wein partizipieren in geradezu unvorstellbarem Ausmaß der Staat via Steuern und der Handel via Spannen.

Die Steuerlast beträgt zusätzliche 150 Prozent des ursprünglichen Verkaufspreises. Der Literpreis wiederum, den der Endverbraucher zu entrichten hat, ist so hoch, daß er auf Unverständnis bei den Weinbauern einerseits, bei den Konsumenten anderseits stößt — im Durchschnitt bis zu 500 Prozent über dem Produzentenpreis. Dazu kommt, daß die Rekordweinernten 1967 und 1968 durch ihr vergrößertes Angebot nicht zu einem Sinken des Preises beigetragen haben. Im Gegenteil; das Statistische Zentralamt weist aus, daß der Verbraucherpreis

im Jänner 1968 19,75 S je Liter, im Jänner 1969 22,10 S je Liter, im Jänner 1970 22,20 S je Liter betragen hat.

Es kann nicht ausbleiben, daß erboste Weinbauern behaupten, der Handel habe zuerst an den Konsumenten verdient und verdiene jetzt

— angesichts des Weinüberschusses

— an den Bauern.

Dazu kommt, daß die Konsumenten seit der Einführung der zehnprozentigen Alkoholsteuer auf billigere Weine umgestiegen sind, was an sich wieder im Widerspruch zu den Überlegungen steht, die dem Weinwirtschaftsfonds vor Augen standen, als auch Strukturverbesserungen erreicht werden sollten.

Denn die Weinqualität muß sich — will Österreichs Weinwirtschaft auch gegen die Auslandskonkurrenz bestehen können — verbessern. Überdies gibt es einen weltweiten Trend zu leichteren Rotweinen. In zahlreichen Rebengebieten Österreichs aber wird noch immer fast ausschließlich der schwerer verkäufliche Weißwein gezogen.

So hat auch etwa die Winzergenossenschaft Wachau bereits damit begonnen, Weinbrand auf den Markt zu bringen. Kenner behaupten, daß sich der Dürnsteiner Brand durchaus mit ausländischen — selbst französisehen — Vorbildern vergleichen kann.

Der Unmut der einfachen Winzer aus Oggau, Langenlois oder Vöslau allerdings wendet sich zunehmend nunmehr der SPÖ-Regierung zu. Bei der Einführung der Sondersteuer waren es ja die Sozialisten, die mit vielen Argumenten gegen die 10-Prozent-Abgabe auftraten und im Parlament gegen sie stimmten. Die Weinbauern, die bei den niederösterreichischen Landtagswahlen bereits geschworen hatten, der ÖVP einen Denkzettel zu verpassen und dies auch bei der Nationalratswahl am 1. März wiederholten, fragen nun zunehmend den neuen Finanzminister, wie er es mit der Kontinuität sozialistischer Auffassungen halte. Denn 1969 noch hatte SPÖ-Agrarexperte Ernst Winkler in der „Zukunft“ sogar Otto Bauer mit einem Zitat aus dem Jahre 1925 bemüht, um den Weinbauern im Kampf gegen den ÖVP-Finanzminister beizuspringen: Weinhauer fragen sich also, ob diese Unterstützung des SPÖ-Klubs ihnen auch zuteil werden würde, wenn die Abschaffung der „ruinösen Besteuerung“ an SPÖ-Finanzmindster Androsch herangetragen werden würde.

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