Den USA gehen die Soldaten aus

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"Sag, wo die Soldaten sind, wo sind sie geblieben ..." - diese Textzeile des bekannten Anti-Kriegsliedes erfährt in den Vereinigten Staaten traurige Aktualität: Angesichts des Fiaskos im Irak melden sich keine Freiwilligen mehr für die Army.

Kim Rosario trägt den "Dog Tag", die Identifikationsmarke ihres Sohnes Joshua um den Hals. "Keine Sorge, er lebt", beruhigt sie. "Er hat die Marke nur vergessen, als er das letzte Mal auf Heimaturlaub war." Kims 19-jähriger Sohn ist seit letztem August im Irak stationiert, unfreiwillig. "Er wollte als Buchhalter in der Militärverwaltung arbeiten, um so zu einem Stipendium für das College und einem Laptop zu kommen", meint Kim. "Man hatte ihm versprochen, dass er nicht in den Irak muss. Doch sie haben gelogen." Heute steht Joshua mit der Waffe in der Hand in der zentralirakischen Stadt Ramadi.

Falsche Versprechungen

Auch Sue Niederers Sohn Seth war im Irak. Er starb im letzten Februar durch eine Bombenexplosion. Auch er wollte nur Geld für seine Ausbildung und einen guten Job. Auch ihm versprachen die Rekrutierer, dass er nicht an die Front geschickt wird, wenn er nicht will (siehe Interview unten).

Dass Soldaten unfreiwillig in den Irak geschickt werden, ist in den kriegsführenden usa zur Zeit kein Seltenheit. Immer lauter werden die Beschwerden, dass Rekrutierer junge Leute mit unerfüllbaren Lockangeboten zum Militäreinsatz überreden wollen. Der Grund: Den us-Streitkräften gehen die Soldaten aus. "Das Problem ist, dass keiner im Moment zur Armee will. Wir sind fast gezwungen, Verordnungen zu umgehen und falsche Versprechungen zu machen, um unser Mindestsoll von zwei neuen Soldaten im Monat zu erfüllen", gibt ein Rekrutierer im Gespräch mit der Furche zu: "Manchmal werden sogar Schulzeugnisse und Drogentests manipuliert."

Zu viele, zu lange Einsätze

Tatsächlich befindet sich die us-Armee zur Zeit in einer schwierigen Situation: Es ist das erste Mal in der Geschichte der 1973 gegründeten Freiwilligenarmee, dass sie in nicht endend wollende Kriegshandlungen involviert ist. Zu viele und zu lange Auslandseinsätze zehren an der Substanz: Allein im Irak sind 126.000 Soldaten stationiert, 17.000 in Afghanistan, 75.000 Soldaten an anderen Plätzen der Welt im Einsatz. Zu viele sind umgekommen - allein im Irak mindestens 1700. Mehr als 13.000 Soldaten sind verletzt, manche sprechen sogar von fast 20.000.

Besonders die Army und die Marine Corps, die die Mehrheit der am Boden stationierten Truppen im Irak und Afghanistan stellen, leiden unter großen Anwerbeproblemen. Für General Michael d. Rochelle, Verantwortlicher der us Army Rekrutierungsstelle in Fort Knox, steht fest, dass "es seit Ende der Wehrpflicht von 1973 noch nie so schwer war, Rekruten zu finden". Insgesamt konnte die Army bis Ende April 2005 lediglich 43.000 neue Soldaten und Reservisten anheuern. Für den Monat Mai hat man erst gar keine Zahlen veröffentlicht. Über 100.000 braucht das Pentagon aber bis Ende September.

Süße Einschreibe-Zuckerl

Ein signifikantes Problem stellt vor allem der Einschreibe-Rückgang bei den ärmeren Bevölkerungsschichten, speziell bei den Hispanics und African Americans dar. Im Jahr 2000 waren etwa 25 Prozent des Militärpersonals Schwarze. Diese Zahl ist in diesem Jahr auf 14 Prozent gesunken.

Mit unterschiedlichen Methoden versucht die us-Armee nun, junge Amerikaner für das Militär zu gewinnen. Die Marketingmaschinerie läuft auf Hochtouren. Allein in diesem Jahr steht Fort Knox ein 100 Millionen Dollar Werbebudget zur Verfügung, um bei Sportevents, vor Einkaufszentren und Schulen die Kids zu überzeugen, sich registrieren zu lassen. Die Einschreibe-Zuckerln wurden versüßt: 5000 Dollar Einschreibebonus für Neulinge, 20.000 Dollar für erfahrene Soldaten, 70.000 Dollar für die College-Ausbildung, dazu gibt's gratis iPods und Videospiele. Zudem versucht die Armee mit Hilfe von Fernsehspots die Eltern von den Vorzügen einer Militärlaufbahn für ihre Kinder zu überzeugen.

Wehrpflicht einführen?

Auch mehren sich die Stimmen im ganzen Land, die von einem baldigen "Draft" (verpflichtender Wehrdienst von jungen Männern bis 25 Jahren) sprechen, falls diese "Durststrecke" bei der Rekrutierung von Freiwilligen noch länger anhält. "Zwar verneint die Bush-Administration und das Pentagon die Einsetzung des Drafts, aber die Institutionen, die dafür die Vorarbeit leisten, arbeiten bereits daran", sagt Dustin Langley, der Sprecher der "Troops Out Now Coalition", einer Antikriegsorganisation mit Sitz in New York.

Ob die Aufrechterhaltung der us-Freiwilligenarmee in der jetzigen Form bei gleichbleibendem, kräfteraubendem Einsatz an mehreren Kriegsschauplätzen der Welt möglich ist, wird unter Militärexperten umstritten diskutiert. David Segal, Militärsoziologe an der Universität von Maryland, bezweifelt die Einführung der Wehrpflicht: "Die zukünftige Militärpolitik der us-Regierung wird sich nicht nach der Schlagkraft ihrer Armee richten. Sie glaubt an die Freiwilligkeit und nimmt an, dass sie irgendwie immer das passende Personal finden wird, egal wie. Würde es allerdings doch so weit kommen, würde dies eine veritable Bedrohung für die innere Sicherheit der usa darstellen."

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