Ambivalente Wissenschafter

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Die neue Unübersichtlichkeit an den Unis manifestiert sich in komplexeren Wissenschafter-Figuren. Über zwiespältige Anforderungen an den (Natur-)Wissenschafter.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts muss die Wissenschafter-Welt wohl noch in Ordnung gewesen sein. Für den Zeitraum von 1910 bis 1955 identifizierte die Historikerin Marcel LaFollette vier in den Medien präsente Wissenschafter-Typen: Den Zauberer, den Experten, den Helden und den Schöpfer/Zerstörer. Abgesehen von der zweideutigen Figur des Schöpfers/Zerstörers waren die anderen doch sehr eindeutig: nämlich klar rechtschaffen, absolut kompetent und unabhängig in ihrem Urteil.

Seither haben sich die Bilder über Wissenschafter stark gewandelt - wie Ulrike Felt, Wissenschaftsforscherin von der Universität Wien unlängst feststellte. Im Rahmen einer soziologischen Studie für das österreichische Genomforschungsprogramm GEN-AU brachte sie Laien mit Genomforschern für insgesamt sechs Tage an einem Runden Tisch zusammen. Ziel war es, über ethische und soziale Aspekte der Genomforschung zu diskutieren. Da die Forscher je nach argumentativem Kontext andere Bilder von Wissenschaftern in Anschlag brachten, spricht die Wissenschaftsforscherin Felt auch von "rhetorischen Figuren".

Dabei tauchten zwar die LaFolletteschen Typen gelegentlich auch auf, waren aber keineswegs dominant. Aus den Gesprächen filterte die Wissenschaftsforscherin fünf neue Figuren heraus - mit einer auffälligen Gemeinsamkeit: Die neuen Figuren sind ambivalenter und komplexer als die alten. Aus gesellschaftspolitischer Sicht ist diese Entwicklung sehr spannend, betont die Wissenschaftsforscherin. Denn: "Je ambivalenter die Wissenschafter-Figuren sind, desto schwieriger wird es, blindes Vertrauen in die Wissenschafter zu haben."

In den neuen Typen, die laut Felt wohl für weite Bereiche der Naturwissenschaft und teilweise auch für die anderen Wissenschaften gelten, verkörpert sich (im wörtlichsten Sinne) die anhaltende Diskussion um Aufgaben und Zweck der Universität. Letztlich wird an ihnen sichtbar, wie nahe heute Wissenschaft, Medien, Politik und Wirtschaft zusammengerückt sind. Ja, es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass diese Bereiche sich gemeinsam entwickeln. Wer dabei wen antreibt, ist keineswegs ausgemacht.

Die Auswirkungen auf die Wissenschafter hingegen sind offenkundig: Sie provozieren Widersprüche nach innen und nach außen - wie sich unschwer an jeder einzelnen der fünf Figuren ablesen lässt.

1. Der verantwortungslose/-volle Wissenschafter

Die Laien waren sich bewusst, dass es für die meisten Wissenschafter keine einfache Schubladisierung in gut oder böse gibt. Wichtig war ihnen, dass sich Wissenschafter über ihre Forschung Gedanken machen und sie als Teil eines größeren gesellschaftlichen Projekts begreifen. Als verantwortungslos gilt demnach jener Forscher, der aufhört, über seine Arbeit und deren mögliche Auswirkungen nachzudenken.

2. Der managende Wissenschafter/Der wissenschaftliche Manager

Dadurch, dass Wissenschafter Manageraufgaben übernehmen sollen, kann für sie ein Dilemma entstehen. Auf der einen Seite sind gute Managerqualitäten gefragt, weil der Forscher damit seinem Team ein optimales Arbeitsumfeld schafft. Auf der anderen Seite findet er selbst weniger Zeit für die eigentliche wissenschaftliche Tätigkeit. Bekommt er so die neuesten Entwicklungen in der Forschung überhaupt noch mit?

3. Der Kommunikator/Performer

Auch die mediale Präsenz ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann so Fachwissen einem Laienpublikum zugute kommen. Auch mag es dem Wissenschafter ein Feedback darüber geben, was sein Wissen jenseits seiner engen Scientific Community bedeutet. Andererseits: Soll das wirklich ein fester Bestandteil einer Beurteilung sein, vielleicht sogar festgeschrieben als Außenwirkungsindikator von Seiten der universitären Leitung? Und wenn das nächste Projekt beim breiten Publikum nicht so ankommt, heißt das, dass diese Forschung weniger wert ist?

Zusätzlich beobachtete die Wissenschaftsforscherin eine interessante Reaktion einiger Laien auf einen besonders eloquenten Forscher: Der guten Show begegneten die Laien mit Misstrauen. Felt schließt daraus: "Vertrauen in die Wissenschaft hat die Öffentlichkeit nur, wenn sie nicht das Gefühl hat, dass der Forscher Marketing betreibt."

4. Der Wissenschaftsverkäufer/Der verkaufte Wissenschafter

Eine Gratwanderung entsteht, wenn Forschung verkauft werden soll. Der gute Wissenschaftsverkäufer hat zwar Geld und kann damit seine Mitarbeiter bezahlen. Doch für den Auftraggeber muss die Forschungsarbeit auch nützlich sein. Folglich ist die Gefahr, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit gleich mitverscherbelt wird, durchaus real. Felt dazu: "Aufgrund ihrer Unabhängigkeit galten Wissenschafter lange Zeit als moralisch übergeordnete Instanz. Durch die Anbindung von Wissenschaft an Politik und Wirtschaft ist dieses noble Image ernsthaft gefährdet."

5. Der junge ehrgeizige Wissenschafter/Der junge, in Hierarchien gefangene Wissenschafter

Freie Forschung zu betreiben, kann für einen jungen Wissenschafter mitunter zu inneren Konflikten führen. Seine universitäre Zukunft hängt im Wesentlichen von der Beurteilung und der Bezahlung seines Vorgesetzten ab. Dass diese Abhängigkeiten sich auch in der Wirklichkeit wiederfinden, zeigte ein Interview mit einer jungen Genomforscherin. Sie bekannte, dass sie es nicht schaffe, Labormäuse zu töten und sie jemand anderen gefunden habe, der dies für sie tue. Prinzipiell finde sie Tierexperimente nicht unmoralisch, beim Töten werde ihr aber übel. Mit ihrem Chef könne und wolle sie nicht darüber reden. Ist das nun (k)ein Problem?

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