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Wissenschafter zu verstehen, kann schwierig sein. Beinahe mühelos hingegen machen wir uns ein Bild von einem Wissenschafter - nicht selten unter Rückgriff auf Klischees. Dabei verraten unsere Klischees mitunter mehr über uns und unsere Gesellschaft, als über die Wissenschafter. Dieses Dossier widmet sich verschiedenen Wissenschafter-Typen: dem verrückten Wissenschafter, den Bildern über die Wissenschafterin, den menschlichen Seiten der Professoren und dem Wandel im Berufsbild der forschenden Intelligenzia. Redaktion: Thomas Mündle

Kurt Gödel wollte einst die amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen. Jedoch provozierte ihn die Aussage des Richters, wonach es unmöglich sei, dass sich die USA in eine Diktatur verwandeln könne, derart, dass er zu einer logisch fundierten Widerrede ansetzte. Und Albert Einstein beanspruchte für sich ein so geringes Einkommen, dass das Institute for Advanced Studies in Princeton den Vertrag für ungültig erachtete.

So scheiterten zwei geniale Wissenschafter beinahe an zwei alltäglichen Dingen, mit denen der Durchschnittsmensch sonst keine Mühe hat. Anders als der größte Logiker seit Aristoteles Gödel) weiß man, dass man vernünftigerweise Beamten nicht widerspricht, wenn man etwas von ihnen will. (Der ebenfalls anwesende Einstein rettete die Situtation mit einem viel sagenden Wink.) Und während die formelreiche Welterklärung eines Einstein den meisten Laien auf immer verschlossen bleiben wird, so sind sie doch so gewandt in praktischer Rechenschieberei, dass sie einen vernünftigen Gehaltsbetrag nennen können. (Einstein erhielt letztlich mehr als das Fünffache des von ihm vorgeschlagenen Betrags - dank seiner Frau, seinem Finanzberater und einem fairen Gegenangebot des Instituts.)

Ver-rückte Weltsicht

Doch woher kommt diese Weltfremdheit? Die einzige Erklärung ist wohl, dass Wissenschafter sich in einer ganz eigenen, kreativen Sicht auf die Dinge üben, sodass ihnen gesellschaftliche Konventionen oft äußerlich bleiben. Leicht überspitzt werden sie gerne so charakterisiert - in Filmen, Literatur, aber auch von Volksschulkindern, die aufgefordert werden, Wissenschafter zu beschreiben und zu zeichnen: Von ihrem Verhalten her vergesslich und zerstreut. Und bereits ihre optische Erscheinung lässt ihre soziale Unangepasstheit erahnen: Zerzaustes, meist schon weißes Haar plus Labormantel und darunter legere Kleidung, die ein völliges Desinteresse an modischen Strömungen offenbart. Nicht selten trägt Mann (kaum jemand denkt je an eine Frau Professor) Brillengläser, die so dick sind, dass er - wie durch einen Zerrspiegel blickend - zwangsläufig die Welt anders sieht als der Durchschnittsmensch. Im besten Fall ist so der Herr Professor eine liebenswürdig-schrullige Person. Ein Typ wie Einstein eben.

Schrullig verrückt

Ihr seltsames Verhalten besitzt komödiantisches Potenzial, was Hollywood nicht entgangen ist. In Der Verrückte Professor etwa spielt Jerry Lewis einen schusseligen Chemie-Professor, der sich dank eines Zaubertranks in einen Frauenhelden verwandeln kann. Doch gerade dadurch bringt er sich in missliche und für den Zuschauer unterhaltsame Situationen. Und der Mathematik-Nobelpreisträger John Nash lässt im Film A Beautiful Mind die Fähigkeit zu flirten vermissen. Zu seiner Verehrten meint er unverblümt: "Im Wesentlichen sprechen wir über Flüssigkeitsaustausch. Könnten wir nicht direkt zum Sex übergehen?"

Weitaus häufiger als komische Charaktere treten Wissenschafter als tragische Figuren auf. Ihr Wissen reicht immer tiefer und führt sie - die natürliche oder göttliche Ordnung missachtend - schnurstracks in den Abgrund. Archetypen dieser Figur finden sich schon in der Antike: Ikarus fliegt zu nahe an die Sonne und stürzt ab. Und Prometheus, der den Menschen das Feuer bringt, wird von den Göttern bestraft. Den modernen Prometheus - so auch der Untertitel des berühmten Romans von Mary Shelley - stellt schließlich Frankenstein dar, dem es gelingt, neues Leben zu schaffen.

Viktor Frankenstein ist nicht von ungefähr ein versierter Chemiker. Nach Joachim Schummer, Wissenschaftshistoriker an der Universität Darmstadt, produziert der Aufschwung der Chemie im 19. Jahrhundert gleichsam das Bild des verrückten Wissenschafters. Zwar hat die Figur Vorläufer in der Gestalt des verrückten Alchemisten, aber der verrückte Chemiker ist auf ganz andere Weise gefährlich. Während der verrückte Alchemist mit seinen dubiosen Mittelchen Menschen eher krank als gesund macht, ist das Wissen der Chemiker tatsächlich wirksam: Sie können Neues schaffen - und zerstören dabei mitunter Althergebrachtes. Und - so die These Schummers - mit ihrem schwer zugänglichen Spezialwissen untergruben die Chemiker auch ein ganzheitliches Weltverständnis, wie es Naturphilosophie und Theologie stets anstrebten.

Dann gibt es noch die Figur des durch und durch bösen Wissenschafters. In fiktiven Erzählungen nehmen sie den Platz eines Superschurken ein. Professor James Moriarty etwa heißt der schlaue Gegenspieler von Sherlock Holmes. Und James Bond jagt Dr. No im gleichnamigen Film. Doch wie weit liegen hier Fakten und Fiktionen auseinander? Vielleicht gar nicht allzu weit. Laut einer EU-Umfrage meinen sechs von zehn Europäer, dass Wissenschafter über Macht verfügen, die sie gefährlich machen kann (Eurobarometer: Europeans, Science and Technology 2005). Auch Ulrike Felt, Wissenschaftsforscherin an der Universität Wien, konnte im Rahmen einer soziologischen Studie beobachten, dass der verrückte Wissenschafter keineswegs bloß als Leinwandprojektion existiert: "In den Köpfen der Laien galten manche Klonforscher als böse Wissenschafter. Auch wenn diese Forscher keine konkret benennbaren Personen sind, irgendwo da weit draußen leben sie doch."

Böse ver-rückt

Heute im Biotech-Jahrhundert sind es eben die Klonforscher. Gestern im Atomzeitalter waren es mit Vorliebe die Nuklearphysiker. Immer wieder tauchen Mediziner auf, schon seltener Psychologen und beinahe nie Geistes-und Sozialwissenschafter. Doch sollten diese negativen Vorstellungen von Wissenschaftern nicht auch zu denken geben? Nein, warum auch. Zum einen fungieren diese Forscherfiguren als Warnschilder vor möglicherweise einschneidenden soziokulturellen Veränderungen. Sei es nun, dass die Machtverhältnisse zwischen den Nationen durch die Beherrschbarkeit der Atomenergie neu geordnet werden könnten, oder dass traditionelle Familienstrukturen durch Bioengineering auf den Kopf gestellt werden könnten. Zum anderen ist der verrückte Wissenschafter ein sehr dankbarer Charakter. Denn er kommt als das eine schwarze Schaf in der Herde der weißen Schafe daher. Die Verfehlungen können so immer an Einzelpersonen festgemacht werden, niemals aber würde das System Wissenschaft selbst in Frage gestellt.

Es mag verschiedene Bilder von Wissenschafter (inklusive Wissenschafterinnen) geben. Der verrückte Wissenschafter ist aber einzigartig in seiner dramaturgischen Verwendbarkeit. Er wird weiterleben. Sein Wahn macht Sinn.

Buchtipp:

Mad, Bad and Dangerous? The Scientist and the Cinema

Von Christopher Frayling

Reaktion Books, London 2006

240 Seiten, kart., Euro 21,20

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