O Wissenschaft, erhöre uns

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Wissenschaftliche Erkenntnisse wollen kommuniziert werden. Dies geschieht auf eine ganz eigene Weise: Science-News sind so etwas wie moderne Fürbitten. Die Wissenschaft scheitert nicht. Diesen Eindruck vermitteln vor allem die Medien. So sind die Heilserwartungen, die Menschen in die Forschung setzen, gestiegen (S. 21). Erst ein Blick hinter die Kulissen verrät, wie mühsam hier Siege errungen werden. Die Forschung an einem Alzheimer-Medikament etwa ist ein risikoreiches Unterfangen (S. 22). Ähnlich die Entwicklung des lange erwarteten Wasserstoff-Autos (S. 23). Doch auch Forscherkarrieren sind eine Art Experiment - mit ungewissem Ausgang (S. 24). Redaktion Thomas Mündle

Ob Gratisblatt, Qualitätszeitung oder Wochenzeitschrift - kein Printmedium kommt heute mehr ohne sie aus: den kurzen Nachrichten-Häppchen aus der Wissenschaftswelt. Dabei lassen sich die Science-News grob in drei Genres einteilen (© Ben Goldacre, The Guardian): Erstens gibt es da die Horrorgeschichten à la "Gentech-Soja in Babynahrung". Zweitens werden gerne ungewöhnliche und leicht schräge Erkenntnisse kommuniziert - so etwa jene US-Studie von letzter Woche, die zeigte: "Die Darstellung von Psychologen in Comedy-Sendungen im Fernsehen reduziert das Vertrauen in die Psychotherapie." Und drittens gibt es die Geschichten über die neuesten wissenschaftliche Durchbrüche, die überaus zahlreich sind.

Good news is good news

So verzeichnete die österreichische Presseagentur an einem einzigen Tag (5.5.08) folgende Schlagzeilen: "Neuere Schizophrenie-Medikamente wesentlich besser", "Forscher wollen künstliche Gliedmaßen mit Gedanken steuern", "Asthma bei Kindern und Jugendlichen: (Passiv) Rauchen wesentlicher Faktor", "iClin Solutions führt neue Therapie zur Krebsbehandlung ein", "Zufallslaser: Bald im Blutkreislauf?", "Chinesische Forscher entdeckten zentrales Gen für Reisertrag". Die Wissenschaftsberichterstattung folgt scheinbar einer anderen Logik als andere Formen des Journalismus: Good news is good news. Und die gute Nachricht ist jeweils - wir wissen jetzt mehr. Und was könnte wichtiger sein für eine Gesellschaft, die sich selbst als Wissensgesellschaft bezeichnet? Wobei sie korrekterweise Wissenschaftsgesellschaft heißen müsste, denn - so scheint's - nur eine Form des Wissens garantiert Gewissheit: das unter streng kontrollierten Bedingungen durchgeführte Experiment.

Doch im Gegensatz zu diesem methodischen Hochsicherheitsbedürfnis finden sich dann in den Nachrichten vielfach sehr unscharfe Formulierungen. "Es könnte möglich sein …", gibt sich da ein Forscher doppelt zögerlich und ein anderer meint vorsichtig, ja fast ausweichend: "Es gib viele Vorstellungen, wie man X einmal einsetzen könnte."

"Könnte", "bald", "einmal" - Begriffe wie diese verweisen auf eine seltsame Zeitkontraktion: Es wird versucht, die Zukunft in der Gegenwart auf den Punkt zu bringen. Dabei gelten die Versprechen der Wissenschaft - oder sollte man sagen die Botschaften ihrer Apostel: der Wissenschaftskommunikatoren? - als allgemein realistisch. Zumindest machen sie dem durchschnittlichen heutigen Europäer mehr Hoffnung als die in Kirchen vorgetragenen Fürbitten, durch die man einen Heiligen bei Gott um Fürsprache bittet, so dass dieser doch einem anderen Gutes widerfahren lässt. Ja, die Wissenschaft hat mittlerweile auch nachgewiesen, dass Gebete keinen messbaren positiven Effekt auf die Gesundung von Kranken haben. Auch hier zeigt sich, wie brüchig die Heilsversprechen der Religion(en) geworden sind und wie sehr sie von der Wissenschaft als quasi säkulare Religion ersetzt werden. Als solche vertröstet die Wissenschaft auch nicht auf ein ewiges Leben im Jenseits, sondern verkündet ziemlich vollmundig, dass es ein immer besseres und auch längeres Leben im Diesseits geben wird.

Und zugegeben: Sehr oft materialisieren sich die von der Wissenschaft produzierten Sehnsüchte und Wünsche in neuen Technologien und Medikamenten. Zumindest früher oder später.

Und das ist auch die Crux. Prinzipiell erscheinen ja selbst schwere Erkrankungen heilbar oder wenigstens sollte das Leben schmerzfrei prolongierbar sein - so unbescheiden sind wir doch heute. Doch für den Einzelnen (und jene, die mit ihm fühlen), der jetzt von dieser oder jener Krankheit betroffen ist, vergrößert sich dadurch die Tragik des Leidens und macht so das Leiden im Leben selbst zu etwas Unerhörtem. Übermorgen wäre es doch - dank des medizinischen Fortschritts der Wissenschaften - möglich gewesen, geistig und körperlich fit bis hundert zu leben. Ein Quäntchen Lebensqualität einbüßen zu müssen oder gar früh zu sterben, wird so zu einer himmelschreienden Ungerechtigkeit.

Prometheus in uns

Deswegen mit der Wissenschaft zu hadern, bringt nichts. Auch der seit der Antike bekannte Vorwurf, dass Wissenschaft und Technik zur Hybris neigen, geht eigentlich fehl. Forschung und Entwicklung sind heute im Großen und ganzen auf breiter Ebene abgesegnet: von Ethik-Kommissionen, die die Zulässigkeit von Experimenten prüfen, von Politikern, die Förderprogramme für bestimmte Forschungsgelder freigeben, und nicht zuletzt auch von den Menschen selbst, die in Bürgerbeteiligungsverfahren dazu ermuntert werden, ihre Wünsche in die Wissenschaft einzubringen.

So bietet der antike Prometheus eigentlich ein sehr unzulängliches Abbild für den modernen Wissenschafter. Viel mehr steckt Prometheus heute in uns allen. Und da keine übermächtigen Götter kommen werden, um uns an einem Felsen festzubinden, brauchen wir etwas anderes: Neue "Technologien der Bescheidenheit" (wie das die Harvard-Professorin und Technologieforscherin Sheila Jasanoff nennt). Denn das Wissen mag noch so stetig anwachsen, die Zufälle und Unwägbarkeiten werden sich nicht völlig aus dem menschlichen Leben eliminieren lassen. Das einzige, was wir also tun können, ist hin und wieder das Scheitern zum Thema zu machen. Denn nur so lässt es sich einen Teil seiner Dramatik entreißen.

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