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Tragik der Atomforscher

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Heller als tausend Sonnen. Das Schicksa I der Atomfonchung. Von Robert Jungk. Goverts, Stuttgart. 370 Seiten.

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Heller als tausend Sonnen. Das Schicksa I der Atomfonchung. Von Robert Jungk. Goverts, Stuttgart. 370 Seiten.

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Das Buch „Genesis“ für unser sogenanntes „Atomzeitalter“ ist nun geschrieben. Es hat eine grausame Aehnlichkeit mit dem „Buch des Anfangs“ in den Heiligen Schriften. — Der neue Mensch im neuen Paradies war der Atomforscher, der vor etwas mehr als zwanzig Jahren experimentierte, diskutierte, in einem wahren und hehren Symposion von Professoren und Schülern lebte (in Göttingen) und um die Naturkräfte rang. Aber vor den Laboratorien standen die Diktatoren mit Kriegswille und Machtrausch. Was eben noch Theorie und Versuch war. sollte ohne die Gnade des Reifens für eine politische Machtprobe hergegeben werden. Was nützte es, wenn die Forscher, solange es eben ging, ihr Wissen für sich behielten, weil sie ihren Erkenntnissen noch nicht trauen durften, die zu neu und — zu gefahrvoll waren? Das neue Zeitalter begann mit einem Sündenfall der Naturwissenschaft: die neuen Ergebnisse wurden zuerst für die Zerstörung freigegeben. An den Anfang stellte der Herr der Schöpfung also die Drohung — diesmal keine moralisch-religiöse, sondern eine konkrete, verwirklichte. Robert Jungk hat diese böse, aber wahre Geschichte des Anfangs geschrieben: die Tragödie des neuen Menschen in der neuen Zeit, die zwanzig Jahre nach dem theoretischen Paradies in der Verbannung von Los Alamos in Amerika unter der Zwangsherrschaft eines amerikanischen Generals vor sich ging. Im Schweiße ihres Angesichts mußten die Atomforscher für Generäle und Kriege arbeiten, bev ht und von Mißtrauen umgeben wie in einem Konzentrationslager. Der Beruf des Wissenschaftlers der neuen Zeit war plötzlich so fragwürdig geworden wie nach dem ersten Paradies das Wesen des Menschen überhaupt. „Kann der Forscher noch ein Mensch sein?“ — das wurde zur Parallelfrage, zur uranfänglichen „Kann der Mensch noch ein Kind Gottes sein?“

„Ein Wissenschaftler will wissen. Er will korrekt, wahrheitsgemäß und präzis wissen...“ Aber auch ihm wurde dieser Baum der Erkenntnis nicht zum Baume des Lebens. Der Atomforscher war durch seinen Erfolg geblendet, durch seinen Ruhm nahezu ruiniert, er sah die Not und die Verwirrung, die er stiftete, sah die Verantwortung und zugleich den Verlust seiner Moral, seines wissenschaftlichen Ethos früherer Jahrhunderte, er spürte Terror und Gegenterror, bevor er seines Forschungsergebnisses überhaupt sicher war. Wenn er Phantasie hatte (und dies nur neben setner Arbeit und in guten Stunden, da erSm.erfinrwar, an fein Menschsein zu denken), konnte er“ sich fragen, „ob diese Kurve oder Jene Funktion vielleicht Unheil bringen könnte“. Konnte er aber solches, auch wenn er wollte, noch abwenden? Man hatte „die Arbeit des Teufels“ geleistet, bevor man es mit Gott und den Engeln versucht hatte: man war mehr Wissenschaftler als Mensch. Das Sein und der Beruf, das Leben und die Lebensarbeit waren auseinandergefallen.

Nun scheint äußerlich diese erste schreckliche Zeit zu Ende. Die Generale, Diktatoren und Kriegmacher haben keinen Einfluß mehr auf die Forschung. Nun kommen die Staaten und die Kalten Kriege — auch diese stellen sich wie Hüter vor die Laboratorien und ihre Meister. Und doch ist nun die Zeit gekommen, da sich die Forschenden fragen müssen, ob sie überhaupt die Grundlagen für die zuhandenen Ergebnisse genügend erforscht hätten — wo sie fragen müssen, ob die Kernphysik wirklich nur der Zerstörung dienen müsse; ob und wie sie zum Nutzen der Menschheit verwendbar sei...

Auf diese Probleme der Forscher gibt es noch keine Antwort. Alles steht in der Entwicklung, die vielleicht eine Rechtfertigung werden wird Aber eines haben diese Forscher nach dem Sündenfall gelernt: die Bescheidenheit. Waren sie auch durch äußere Gewalt und durch die Situation der Zeit über das Ziel hinausgetrieben worden, so muß jetzt die überrannte Strecke nachgeholt und überprüft werden. In menschenwürdiger Religiosität zur Natur muß der Forscher eine geschöpfliche Bindung an sein Forschungsobjekt finden. Kann es gelingen, daß das überhebliche Material, das gefunden wurde, in Bahnen gelenkt wird, die dem Schöpfungsplan entsprechen? Der Zwang der Geschichte und des wiedererwachten Gewissens muß für die Kernenergie den richtigen Platz finden. Wer diese Notwendigkeit noch nicht einsehen sollte, muß das Buch von Robert Jungk lesen. Auch die Atomforscher müssen es wie ein Brevier der Drohung stets zur Hand haben, um ihr zukünftiges Schicksal an r,~i Schicksalen ihrer Vorgänger immer abmessen zu kunnea,

Jungk gibt in seinem Buche Hoffnung, daß die Rolle und die Aufgabe des Naturwissenschaftlers sich klären werden. Neben der rationalen Vernunft, dem Vernehmen der Natur durch den menschlichen Verstand, bildet sich wieder die mystische Vernunft, das Vernehmen des Geistes durch den Geist. Wenn die Ehe dieser beiden gelingt, daß wir die Mystik der Natur ebenso ernst nehmen wie die Mystik des Geistes, dann kann auch in unserem Atomzeitalter die geschöpfliche Ordnung gewahrt werden. Wenn auch die Wörterbücher'und die Nomenklaturen andere sein werden als .bisher — das. spielt keine RoHew*nnrmut die Bindung an die geschöpfliche Relation, an die konkrete Gebundenheit an „Ihn und uns“ (als ein Eines und Ganzes) uns zusammenführt

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