Das große Ich bin ich

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Der steirische herbst im Zeichen des Subjekts.

Die Herausforderungen, die an der Schwelle dieses Jahrhunderts eine neue Sichtweise des "Ich", des Subjektes, postulieren, werden beim diesjährigen steirischen herbst unter der Intendanz von Peter Oswald energisch in Angriff genommen. Die dahinschnurrende Kulturmaschinerie, deren Repertoire bei Mozart beginnt und bei der Wiener Operette endet, passt ja allzugerne den Publikumsgeschmack an die Bedürfnisse einer weltweiten Kulturwirtschaft an; gespielt wird, was das finanzkräftige Publikum goutiert. Dass in diesem kulturellen Netzwerk erst eine Suchmaschine installiert werden muss, um die "Unterworfenheit des sub-iectum" (Adorno) unter die neoliberale Gleichschaltung einer Kulturindustrie aufzuzeigen, wo man erfolgversprechende und rentable Stücke aufführt, doch quasi im Althergebrachten verharrt, ist nicht erst seit den Salzburger Festspielen bekannt. Umso wichtiger wird es für den Rezipienten, auch einen dialektischen Diskurs mit zeitgenössischen Werken zu wagen, um subjektives Erleben wieder zu entdecken. In diesem Sinne bietet der herbst mannigfaltige Möglichkeiten, Kunst und Kultur pro se neu zu entdecken und reichhaltigen Gewinn zu lukrieren.

Einen Ansatzpunkt dazu bot im Grazer Schauspielhaus das Musiktheater "Begehren" des kompromisslosen Schweizer Komponisten Beat Furrer, der auch für die konzertante Aufführung als Dirigent verantwortlich zeichnete. In einer Verflechtung von Texten aus Ovids "Metamorphosen", Vergils "Georgica" und Werken von Hermann Broch, Cesare Pavese und Günther Eich taumeln ein stimmloser Orpheus (Johann Leutgeb) und eine ausdrucksstarke Eurydike (Petra Hoffmann) auf der Suche nach der gemeinsamen Identität im Wechselgesang durch den Abend, vom angstvoll-unruhigen Orchester (ensemble recherche) untermalt. Die Auflösung der Texte im Mikrokosmos von Silbe und Morphem korrespondiert mit der zunehmenden Sprachlosigkeit der beiden Protagonisten, Subjekten, die ihr alter ego nicht zu finden vermögen. Angesiedelt zwischen den Extremen von antiker Vorlage und modernster musikalischer Interpretation bereitete das Stück Verständnisschwierigkeiten, zumal der Zuhörer ohne genaues Studium des Textbuches dem Fortgang der Handlung nur schwer folgen konnte.

Ganz anders der Tiroler Regisseur Händl Klaus mit seinem Theaterstück "Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen" (Uraufführung am Bautechnikum der TU Graz). Der Doppelmonolog der Hauptdarsteller Olivia Grigolli und Bruno Cathomas dreht sich um den Tod, für den die Alpen stehen und der dort auch zu finden ist. Auf schneeweißer Bühne, das Panorama der Alpen massiv hineingeklotzt (Bühne und Kostüme: Siggi Colpe) ersehnen Bruno und Olivia sprachgewaltig unter Ausreizung aller Höhen und Tiefen der menschlichen Stimme den Ruhe bringenden Tod als großen Transformator, als endgültiges Schweigen. Den in den Alpen gefundenen Toten widmet Bruno eine so innige Fürsorge, wie sie sonst nur den Lebenden zukommt; Olivia dagegen, ganz die Großstädterin in ihrer exquisiten Wintermode, sucht erst im sprachlichen Anrennen an die unbewegliche, majestätisch-erhabene Eis- und Bergwelt Ruhe und Frieden zu finden.

Du und Ich

Der Lebendigkeit auf Gottes weiter Erde dagegen widmet sich die Ausstellung "Abbild - recent portraiture and depiction" im Landesmuseum Joanneum unter der Kuratel von Peter Pakesch mit mehr als 50 Exponaten zeitgenössischer Künstler. In beklemmender Realität zeigt die Deutsche Antje Majewski Häftlinge in einem Moskauer Gefängnis, Menschen wie Du und Ich, der Pole Artur Zmijewski schockiert mit der Ästhetik des Krüppels, nackten, verstümmelten Menschen, die schonungslos von der Gesellschaft gerne verdrängte Lebensformen des Mensch-Seins vor Augen führen ("an eye for an eye"). Johanna Kandl präsentiert moderne Marktteilnehmer in der globalisierten Welt, mit nachdenklich machenden Übertiteln ("Ungleichheit kann gewaltige Energien freisetzen"), der Chinese Xie Nanxing widmet sich blutigen "Selbstbildnissen mit Eltern", die aufschreiend die Notwendigkeit der Eigenexistenz in Frage stellen. Dass der Krieg überall auf der Welt das gleiche Gesicht zeigt, artikuliert Wolfgang Tillmanns mit seinen schonungslosen Zeitungausschnitten der Transformationszeit der neunziger Jahre. Die bis Dezember laufende Ausstellung wird sicherlich ein Höhepunkt eines jeden herbst-Besuchers.

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