6546471-1947_18_04.jpg
Digital In Arbeit

Das Ende der Gottscheer

Werbung
Werbung
Werbung

Durch den deutsch-italienischen Umsiedlungsvertrag vom Jahre 1941 wurde die Uberführung der Gottscheer Volksgruppe aus ihren bisherigen Sitzen im südöstlichen Krain in das damals von den Deutschen besetzt Gebiet um Rann an der Save und Gurkfeld beschlossen, aus ckm vorher die slowenische Bevölkerung ausgesiedelt worden war. Mit dem Zusammenbruch der deutschen Herrschaft wurden die Gottscheer, die sich kaum in die neuzugewiesenen Räume eingelebt hatten, neuerdings heimatlos und größtenteils nach Österreich abgeschoben. Damit hat eine Sprachinsel deutscher Österreicher ein tragisches Ende gefunden, die durch ihr Alter und ihre kulj turelle Eigenart seit jeher ein wesentlich höheres Interesse erweckt hat, als sie es durch ihre Volkszahl allein vermocht hätte. “ Die Heimat der Gottscheer, die rund 900 Quadratkilometer große Gottschee, oder, wie sie diese selber nannten, das Gottsdieer Land, gehörte zu den landschaft-

lich eindrucksvollsten Gebieten des alten Österreich. Ein ausgesprochenes Waldland, das bisweilen sogar noch urwaldartigen Charakter aufweist, In dem heute noch Bär, Wolf und Luchs hausen, blieb es lange der menschlichen Siedlungstätigkeit verschlossen. Obwohl sich vereinzelte vorgeschichtliche Siedlungsspuren gefunden haben, hat der Mensch doch erst relativ spät die breiten Talböden zwischen den drei von Nordwest nach Südost streichenden, 1000 bis 1300 Meter hohen Bergzügen, dem Hornwald, dem Friedrichsteiner Wald und dem GÖttenitz-Rieger Bergland, zu roden begonnen. Diese Unwegsamkeit und die Abgeschlossenheit des Gottscheer Hochlandes, dessen schroffe, steile Ränder, Vor altem im Osten und Süden, den Aufstieg aus dem kroatischen Kulpatal erschweren, hatten andererseits das Gute, daß sich die Gottscheer ihre volkliche Eigenart lange ungestört erhalten konnten. Ursprünglich zur Herrschaft Reifnitz und

damit dem alten Kramer Geschlecht der Auersperg gehörig, kam das Gebiet um die Mitte des 13. Jahrhunderts an die in Ober-krain und Kärnten begüterten Grafen von Ortenburg, die dort zur Sichering der Kulpagrenze mit der Besiedlung zunächst des Süd- und Südostrandes der Gottschee durch Slowenen begannen. Nach dem Tode des letzten Ortenburgers kam das Gebiet an die steirischen Grafen von Cilli. Aber auch dieses, damals mächtigste Adelgeschlecht Innerösterreichs erfreute sich nicht lange des Gottscheer Besitzes. Mit dem Aussterben der Cillier erbten bekanntlich die Habsburger deren reichen Besitz und damit auch die Gottschee, die sie aber bald weiterverpfändeten. Nach verschiedenen Zwischenbesitzern kam das Ländchen schließlich 1641 wieder an die Auersperge, denen hier die Verteidigung der österreichischen Reichsgrenze gegen die Türken anvertraut war. Da die Auersperge nach dem Siebenjährigen Krieg ihre schlesischen Besitzungen an Preußen abtreten mußten, erhob Kaiser Leopold II. ihren Gottscheer Besitz znm Herzogtum, eiri Titel, den der Gottscheer Zweig der1 Auersperge noch jetzt führt.

Wie' schon erwähnt, begannen die Orten-burgef mit der Kolonisation dieses Gebietes. Das Gottscheer Haupttal, das sogenannte Oberland, mit seiner verhältnismäßig günstigen Verkehrslage war der erste Ansatzpunkt für die von Nordwesten über Reifnitz einsetzende deutsche Rodungs-arbeil, die dann von hier aus allmählich gegen die Ränder fortschritt. 1377 wird schon der Hauptort Gottschee als Marktflecken genannt, dem rund hundert Jahre später beim Wiederaufbau nach der Zerstörung durch die Türken das Stadtrecht verliehen wird. Die Reformation hat die Gottschee nicht weiter berührt, das Land blieb rein katholisch.

Schwer hatte aber das Gottscheer Land unter den Türkeneinfällen zu leiden, die im 16. Jahrhundert hauptsächlich über dieses Gebiet erfolgten. Die jungen Siedlungen wurden vielfach aufgegeben, aber trotz alledem setzte alsbald eine neue Kolonisationswelle in, die hauptsächlich das Verdienst def Grafen von Blagay ist. Damals wurde das Rieger Becken, das sogenannte Hintetland, der Nordwest- und Südabfall des Hofnwaldes und schließlich auch das Suehefter Hochtal besiedelt.

So entstanden im Gottscheer Land allmählich über 160 Dörfer, oft freilich recht kleine Weiler mit nur drei bis acht Gehöften, wie sie sich eben durch die Rodung des Waldes ergaben. Oft stundenweit voneinander entfernt und auf schmalen Wald-Wegen nur schwer erreichbar, haben diese Siedlungen ein ganz für sich abgeschlossenes Eigenleben geführt und dazu beigetragen, daß das Gottscheer Land seit jeher in sprachlicher wie in kultureller Hinsicht als etwas gartz Eigenartiges, ja Rätselhaftes angesehen wurde. Schon ihre Herkunft war dunkel. Sie selbst haben darüber keinerlei Tradition Und auch keine Urkunde berichtet uns von ihrer Urheimat. Verleitet durch den Namen Gottschee, der jedoch aus der slowenischen Sprache abzuleiten ist, in der „Kotüevje“ eine Gruppe von Hütten bedeutet, eine Erinnerung an die Zeit der Rodung, hat schon der berühmte Krainer Polyhistor J. W. von Valvasor in seiner „Ehre des Herzogtums Krain“ ihre gotische Abstammung vermutet und darin bis ins 19. Jahrhundert Glauben gefunden. Auf Grund einer Notiz, die der Laibacher Bischof Thomas Chrön (Hren) 1590 in seinem Kalender vermerkte, wurde dann angenommen, daß es sich um Franken und Thüringer handle, die unter Karl IV. strafweise zur Rodung der Wälder verurteilt worden seien. Die wissenschaftliche Untersuchung der Gottscheer Mundart hat jedoch einwandfrei ergeben, daß sich diese aus dem in Osttirol und Kärnten gesprochenen Dialekt entwickelt hat. Wenn sich heute größere Unterschiede finden, so erklären sich diese leicht durch die jahrhundertlange getrennte Entwicklung, wobei das Gottscheerische im Laut- und Wortbestand begreiflicherweise starke Beeinflussung durch die umgebenden slawischen Sprachen erfahren hat. Auch die dem Gott-scheerischen nächstverwandte kleine Sprachinsel im Quellgebiet der Zarzer Zaier westlich Laibachs, die Zarzer Sprachinsel, von der sich 1941 nur mehr geringe Reste erhalten hatten, weist in diese Richtimg,

Die Trennung vom alten Heimatboden hat sich auch anderweitig ausgewirkt und die Gottscheer zu einem ganz eigenartigen Menschenschlag geformt. Alte Sagen und Gebräuche, die den Jahrlauf begleiten, haben sich hier reiner erhalten als in der Urheimat. Vor allem ist es jedoch das Gottscheer Volkslied, das durch seine reiche Entwicklung seit jeher die Aufmerksamkeit der Forschung erregt hat. Bei der Ab-gsechlossenheit des Landes haben sich hier Lieder erhalten, für die es heute im übrigen deutschen Sprachgebiet keine lebenden Parallelen mehr gibt. Eines der ältesten, noch heute gesungenen Volkslieder, eine das alte Gudrun-Thema behandelnde Volksballade, ist das Lied von der schönen Mieterin („Wie früh ist auf die Meererin“). Andere Lieder besingen die schweren Schicksale zur Türkenzeit. Hat sich im Gottscheer Volkslied altes deutsches Volksgut erhalten, so ging andererseits die alte Volkstracht verloren und ist durch die im benachbarten Weißkrain getragene pannonische Tracht mit den weiten, weißen Leinenhosen und dem langen, bei den Gottscheern hellblau gefärbten Rock ersetzt worden.

Es war kein leichtes Leben, das die Gottscheer Bauern dort unten führten. Der Urwald verlangte ständige Rodung, sollte er nicht die wenigen Ackerflächen erdrücken. Der stein'ge, wasserarme Karstboden trug flicht allzu reichliche Frucht. Durch die Erzeugung von Holzwaren suchte man zusätzlichen Lebensunterhalt und schon 1492 erhielten die Gottscheer durch das „Hausierpatent“ Kaiser Friedrichs III. „in Ansehen ds erlittenen Tükenruins“ das Recht, die Erzeugnisse ihrer Hausindustrie im Bereiche der innerösterreichischen Länder abzusetzen. Bald kamen die findigen Gottscheer auf ein einträglicheres Hausiergeschäft, indem sie in Verbindung mit dem Zahlenlotto Südfrüchte, Süßigkeiten, Sardinen und dergleichen an den Mann brachten. Wer kennt nicht aus der Zeit vor dem Kriege die „Gottscheber“, die zur Winterszeit mit ihrem Tragkorb in später Stunde von Gasthaus zu Gasthaus zogen und ihr „Grad oder Ungrad“ oder „Drei unter Hundert“ anboten! Die Volkszählung vom Winter 1869 weist 3841 Männer auf Wanderung und nur 3880 daheim aus, Zahlen, die deutlich genug für den Wandertrieb, aber auch die wirtschaftliche Notlage dieses Völkchens sprechen.

Diese Not, vielleicht auch ein gewisser angeborener und durch den jahrhundertelangen Hausierhandel noch gesteigerten Wanderdrang haben schließlich auch eine starke Auswanderung nach Ubersee mit sich gebracht. Die Zahl der in Amerika lebenden Gottscheer soll die bis 1941 in der Heimat verbliebenen überstiegen haben (schätzungsweise 16.000 gegen 14.000 im Lande). Vor allem ließen sie sich in den USA nieder, wo sie besonders in Brooklyn nahezu geschlossen wohnen und ein reges Vereinsleben entwickelt haben. Wieviel Kräfte dadurch dem Heimatboden entzogen worden sind, bezeugten die vielen verlassenen und verfallenen Häuser iny Gottsdieer Ländchen. Von den rund 4600 Häusern des Gebietes waren nach einer Schätzung des Jahres 1939 nur mehr 3600 bewohnt, von den tausend unbewohnten gut 600 mehr oder weniger bereits Ruinen.

Es war also keine günstige Entwicklung, die die Gottscheer Sprachinsel schließlich genommen hat, und von gewisser Seite hat man allen Ernstes gemeint, daß sie in nicht allzu ferner Zukunft von selbst verschwinden dürfte. Der zweite Weltkrieg hat ihr nun ein Ende bereitet. Ob* es richtig war, die Gottscheer Waldbauern in ein Gebiet umzusiedeln, das zwar fruchtbarer, aber so ganz anders geartet war als die alte Hei* mat, darüber jetzt noch zu rechten, wäre ein müßiges Unterfangen. Der Ausgang des Krieges hat anders entschieden. Wenn einer deutschsprachigen Volksgruppe außerhalb der Grenzen des heutigen Österreichs die Bezeichnung „Volksösterreicher“ gebührt, dann sind es die Gottscheer mit Fug und Recht. Aus Osttirol und Oberkärnten sind sie vor mehr als 600 Jahren ausgezogen, um Jahrhunderte hindurch die Grenzen Innerösterreichs im Südosten zu schützen und noch 1809 versuchten sie, eine napo-leonische HeeresabteilurTg aus dem Lande zu vertreiben. An der Schloßmauer von Rudolfswerth haben die Gottscheer Bauernführer von damals ihre Treue zu Österreich mit dem Tode besiegelt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung