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Nur kleine Schritte

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Die Wintersession des Präsidiums des Obersten Sowjets begann am 16. Dezember 1969. Um den Beratungen einen „demokratischeren“ Charakter zu verleihen, wurden die Planziele für das kommende Jahr und die siebziger Jahre breiter erörtert, die Öffentlichkeit jedoch nach dem Referat des höchsten Planungschefs, Bajbakow, mit relativen Zahlen abgespeist, die man manipulieren kann, wie man will, ohne Widerspruch zu ernten. Es überraschte die Wirtschaftsexperten, daß diesmal kräftig zurückgesteckt wurde und die früheren Planziele herabgesetzt wurden. Man ist jedenfalls realistischer geworden, und es wurde zugegeben, daß die früheren Planziele der Kohlen-, Stahl- und Stromproduktion unter keinen Umständen erfüllt werden können. Auch die geplante Expansion des Kleinhandels muß gebremst werden; die Steigerung der Stahlproduktion wird im Jahre 1970 die kleinste seit dem Ende des zweiten Weltkrieges sein. Die „Metallfresser“ werden ihren Appetit drosseln müssen.

Keine großen Sprünge!

In Ermangelung konkreter Daten und Zahlen jonglierte Bajbakow mit Prozenten, Prophezeiungen, vagen Vermutungen. Kein Zweifel, daß im kommenden Jahr die Wirtschaftsentwicklung im Zeichen der „kleinen Schritte vorwärts“ stehen wird. Von einem maoistisch-spektakulären „großen Sprung nach vorn“ war keine Rede im Kreml. Die wichtigsten Planzahlen für 1970: 610 Mill. Tonnen Kohle, 115 Mill. Tonnen Stahl und 740 Mrd. kWh Elektrizität Außerdem: 152 Mrd. Rubel Handelsumsatz, eine 17pro- : -i—;-

zentige Steigerung der Versorgung der Bevölkerung, 45 Mill. Kinder in den Zehn jahrschulen und ein neues Schulbildungsprogramm, das für das Weiterkommen von eineinhalb Millionen Schülern sorgen soll. Dies ist die nüchterne Lage. Was steckt in bezug auf die Wirtschaftsplanung dahinter?

Der Stromproduktionsplan wurde diesmal seit 1961 zum drittenmal reduziert. Das letzte Planziel für Elektrizität war für 1970 830 Mrd. kWh, wie es vom zuständigen Minister, P. Neporoschni, Anfang August 1968 erwähnt wurde. Das Planziel für 1969 lautete: 687 Mrd. kWh. Man würde also im kommenden Jahr mit einer Steigerung von 8 Prozent zufrieden sein.

Das Wachstum in der gesamten Industrieproduktion soll 1970 7 Prozent betragen.

Die gültigen Fünfjahresplandirek-tiven schrieben noch 675 Mill. Tonnen Kohle fürs Jahr 1970 vor. Dazu muß man wissen, daß ungefähr 30 bis 33 Prozent der Kohle Hartkohle ist. Jetzt ist man bescheidener geworden und hat das Planziel um ungefähr 10 Prozent herabgesetzt. Dennoch hofft man, die bisherige Stagnation in der Industrie überwinden zu können. Hier einige Zahlen von der sowjetischen Kohlenproduktion in den vergangenen vier Jahren: 1966: 586; 1967: 595; 1968: 594 und 1969: 595,3 Mill. Tonnen.

Sorgen der „Stahlfresser“

Die größte Drosselung erfolgt im Stahlsektor. Während 1968 und 1969 wuchs die Stahlerzeugung jährlich um die respektable Menge von 5 MilL Tonnen. Die für 1970 vorgesehene Steigerung soll nicht mehr

als 2 Prozent betragen! Die oben apostrophierten „Metallfresser“ — die größten Stahlverbraucher in der Sowjetunion — haben mit solchen schweren Zeiten nicht gerechnet. Aber lassen wir lieber die konkreten Zahlen sprechen. Die sowjetische Rohstahlproduktion in den letzten vier Jahren, in Millionen Tonnen registriert: 1966: 96,9; 1967: 102,2; 1968: 107 und 1969: 112,6. Das Planziel für 1970: 115 Mill. Tonnen.

Moskau beabsichtigt, im Laufe der siebziger Jahre mehr und mehr Stahl zu importieren. Es genügt in dieser Hinsicht, auf die großen Stahlrohrimporte aus Westeuropa hinzuweisen, die wegen des Baues der sehr langen Erdgasleitungen notwendig sind. In dieser Beziehung rangiert Qualität vor Quantität für die UdSSR.

Laut authentischer Schätzung wird der Kleinhandelsumsatz in der Sowjetunion 1969 143 Mrd. Rubel ausmachen, im kommenden Jahr soll er auf ungefähr 152 Mrd. Rubel klettern, was ein beträchtlicher Rückfall sein wird. Diese Tendenz war im übrigen seit 1967 zu beobachten. Hier die Relativzahlen der Erhöhung des Kleinhandelsumsatzes: 1961 bis 1966 (Durchschnitt): 6.5 Prozent; 1967: 9,3 Prozent; 1968: 9,0 Prozent und 1969: 7,5 bis B,2 Prozent. Eine Erhöhung der Industrielöhne — Vorschlag für 1970: 6,3 Prozent! — für das laufende Jahr war mit 3,3 Prozent geplant. Was das kommende Jahr anbelangt, wird geplant, daß die Industrielöhne nicht mehr als maximal um 4 Prozent erhöht werden dürfen, um auch dadurch dem starken inflationistischen Druck Einhalt au gebietea

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