Und was glaubst du?

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Muslimische Kinder beim Martinsfest? Die Linzer Religionspädagogin Helena Stockinger über den Umgang mit religiöser Differenz in katholischen und islamischen Kindergärten. | Das Gespräch führte Doris Helmberger

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Muslimische Kinder beim Martinsfest? Die Linzer Religionspädagogin Helena Stockinger über den Umgang mit religiöser Differenz in katholischen und islamischen Kindergärten. | Das Gespräch führte Doris Helmberger

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Leuchtende Kinderaugen mit noch leuchtenderen Laternen: Dieses Bild prägt jedes Jahr um den 11. November die Straßen. Während öffentliche Kindergärten diese Umzüge gern als "Laternen- oder Lichterfest" bezeichnen, erinnern katholische Einrichtungen beim "Martinsfest" an die legendären Wohltaten des Heiligen Martin von Tours. Sollen muslimische Kinder oder solche ohne Bekenntnis mitmarschieren? Wie gehen katholische Kindergärten generell mit religiöser Vielfalt um - und wie islamische? Helena Stockinger, Assistenzprofessorin für Religionspädagogik an der Katholischen Privatuniversität Linz, hat zwei Wiener Einrichtungen dazu beforscht. Ihre Ergebnisse, die im Frühjahr 2017 im Buch "Umgang mit religiöser Differenz in Kindergärten"(Waxmann) erscheinen, hat sie vergangene Woche am FH Campus Wien präsentiert.

Die Furche: Sie haben ein Jahr lang je einen katholischen und islamischen Kindergarten besucht. Wonach haben Sie sie ausgewählt? helena Stockinger: Beide befinden sich im selben Wiener Bezirk. (Um welchen es sich konkret handelt, muss aus Anonymitätsgründen ebenso unerwähnt bleiben wie die Träger, Anm.). Und beide sind offen für Kinder aller Religionsbekenntnisse und betonen ihren positiven Zugang zu religiöser Vielfalt. Wobei beim Kindergarten in katholischer Trägerschaft 46 Prozent der Kinder katholisch waren, 17 Prozent muslimisch, 17 Prozent ohne Bekenntnis, 13 Prozent orthodox und je zwei Prozent Hindus und Sikhs. Im Kindergarten in islamischer Trägerschaft gab es 92 Prozent muslimische und acht Prozent katholische Kinder.

DIE FURCHE: Sie haben bei beiden Einrichtungen festgestellt, "dass die Religion der Mehrheit meist dominant war, wohingegen anderen Religionen wenig Anerkennung zukommt". Wie hat sich das gezeigt?

Stockinger: Beiden Leitungen war zwar bewusst, dass auch Kinder mit anderen Religionen da sind, sie hatten aber kein Konzept, wie diese vorkommen könnten. Es gab nur zaghafte Versuche, andere Religionen einzubeziehen. Im katholischen Kindergarten wurde etwa einmal eine Moschee besucht. Und im islamischen Kindergarten gab es Informationen zu christlichen Festen. Anstelle des Weihnachtsfestes wurde dann ein "Eisbärenfest" oder ein "Sonne, Mond und Sterne-Fest" begangen.

DIE FURCHE: Sie haben festgestellt, dass religiöse Differenz hauptsächlich als Herausforderung empfunden und die Kommunikation darüber weitgehend vermieden wird. Wie ist das zu erklären?

Stockinger: Es wurden mehrere Gründe genannt: die religiöse Ausrichtung des Kindergartens, die Sorge, dass eine Veränderung bei den Traditionen Aufregung auslösen könnte, der Wunsch, alle Kinder gleich zu behandeln, das Gefühl, selbst zu wenig über die anderen Religionen zu wissen - und auch die Hoffnung, dass sich etwaige Konflikte durch Schweigen von allein auflösen.

DIE FURCHE: Welche Konflikte gab es?

Stockinger: Einmal meinte im Kindergarten in katholischer Trägerschaft eine muslimische Mutter, dass ihr Kind im Kindergarten kein Kreuzzeichen machen sollte. Als Reaktion verwies eine Pädagogin auf andere Kindergärten, ohne den Konflikt weiter zu thematisieren. Ein anderes Mal warfen die Kinder einem muslimischen Kind vor, dass es beim Martinsfest nicht dabei gewesen sei. Das muslimische Kind erklärte dann, dass es sehr wohl dabei gewesen wäre - weil es dazugehören wollte. Zugehörigkeit ist für Kinder ja sehr wichtig.

DIE FURCHE: Und im islamischen Kindergarten?

Stockinger: Hier gab es eine grundsätzlich andere Vorstellung davon, wie Religion im Kindergarten vorkommen soll. Im Kindergarten in katholischer Trägerschaft wurde sie ja als integrierter Bestandteil des Alltags betrachtet und in Form von Tischgebeten, Geschichten und Liedern sowie des Feierns christlicher Feste mit entsprechender Raumdekoration ausgedrückt. Auch christliche Symbole waren vorhanden, solche anderer Religionen gab es nicht. Im Kindergarten in islamischer Trägerschaft kam Religion bis auf das Bittgebet, die Dua, im Alltag gar nicht vor, sondern nur in Form eines freiwilligen täglichen "Religionsunterrichts", der für muslimische Kinder eine halbe Stunde in einem separaten Raum abgehalten wurde und wo sie Koransuren gelernt oder Geschichten des Propheten Mohammed gehört haben. Religiöse Symbole gab es auch nur in diesem Raum.

DIE FURCHE: Nach der Aufregung über die Vorstudie von Ednan Aslan zu islamischen Kindergärten in Wien wurde dieser "Religionsunterricht" laut Islamischer Glaubensgemeinschaft ausgesetzt (s.u.). Wie haben Sie ihn erlebt?

Stockinger: Als Nichtmuslimin kann ich über die religiöse Konzeption keine Auskunft geben, aber ich hatte den Eindruck, dass der Unterricht kindgemäß stattfand. Natürlich braucht es insgesamt öffentliche Aufmerksamkeit, wobei Kindergärten in islamischer Trägerschaft nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürfen. Der von mir untersuchte Kindergarten war jedenfalls stark auf der Suche nach Konzepten, wie Religion vorkommen kann, und offen für Unterstützung. Darin ist er wahrscheinlich auch nicht der einzige.

DIE FURCHE: Was antworten Sie jenen, die konfessionelle Kindergärten lieber schließen oder Religion wie in städtischen Wiener Kindergärten ganz ausblenden möchten?

Stockinger: Ich würde betonen, dass jedes Kind laut UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat - und dem widersprochen wird, wenn Religion gar kein Thema sein darf. Außerdem hat jeder Mensch weltanschauliche Vorstellungen - bei einer konfessionellen Trägerschaft sind sie eben klar deklariert. Wichtig wäre aber, dass Kindergärten als religionssensible "safe spaces" auch religiöse Differenz thematisieren und Räume eröffnen, in denen Kinder mit einer anderen Religion wertgeschätzt werden und ihre Religionszugehörigkeit nicht als Defizit gesehen wird. Man könnte etwa beim Beten vor dem Essen verschiedene Gebetshaltungen ermöglichen, einen Festkalender aufhängen oder anderen Kindern zu ihrem jeweiligen Religionsfest gratulieren. Dazu braucht es aber eine entsprechende Organisations-, Bildungsangebots- und Personalentwicklung - samt religiöser Bildung und Schulung der Reflexionsfähigkeit.

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