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Kehrt zurück zur Mitte!

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Egal, ob die Dritte Republik kommt oder nicht - wir befinden uns in einem tiefgreifenden, krisenhaften Umbruch unseres politischen Systems.

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Egal, ob die Dritte Republik kommt oder nicht - wir befinden uns in einem tiefgreifenden, krisenhaften Umbruch unseres politischen Systems.

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Niemand mag Parteien mehr recht, und gar von einer Bindung an eine sogenannte „Politische Heimat” ist keine Rede mehr. Zunehmend prägen einzelne Persönlichkeiten, egal aus welchen Lager sie kommen, die Szene. Man verlangt immer öfter ihre Direktwahl, also einen Wählerauftrag ohne Zwischenschaltung einer Partei.

Die berechtigte Frage nach dem Ende der Parteiendemokratie wird auch durch die Tatsache ausgelöst, daß in der Politik immer stärker andere Kräfte das Handeln an sich reißen. Spontane Gruppen, Bürgerinitiativen, Zweckverbände und idealistische Bewegungen aller Art drängen sich in den Vordergrund. Hat also das bisherige demokratische System überhaupt noch eine Zukunft?

Aber: es gibt weltweit keine funktionierende Demokratie, die auf das Bestehen von politischen Parteien verzichten kann. Es ist ganz einfach eine Folge der modernen Massengesellschaft. Wir brauchen aus ganz praktischen Gründen - und darauf wird noch zurückzukommen sein - eine handlungsfähige Ebene zwischen dem einzelnen Menschen und dem Staat. Auf ihr ist politischer Wille zu bilden. Das bedeutet, mit den Bürgern Kontakt herzustellen und die vorliegenden Meinungen zu sichten. Parteien haben ferner geeignete Personen zu sammeln, die bereit sind, die öffentlichen Angelegenheiten zu entscheiden und sie den Wählern als Kandidaten für staatliche Amter anzubieten. Unschwer sind die Probleme, ja Tücken der Aufgaben zu erkennen, welche den Parteien seit jeher gestellt sind. Man müßte diese Gebilde eigentlich als ja-nusköpfige Wesen betrachten. Das eine Gesicht von ihnen ist dem Staat und seiner Macht zugewendet. Es hat Antlitz und Sprache der Menschen gleichsam nach oben darzubieten. Sie hat umgekehrt dem Bürger auch das Gesicht des Gemeinwesens zuzuwenden. Dabei ist zu vermitteln, was im Interesse der Allgemeinheit notwendig, was machbar ist und welche Folgen ein bestimmtes politisches Handeln für den Staat hat. Ganz entscheidend ist in diesem gesamten Zusammenhang, daß Parteien um Interessensausgleich und Gemeinwohlsuche bemüht sein müssen. Verfolgen sie nur stur irgendwelche Interessen, taugen sie nichts.

Die heutige Krise ist auf den tragischen Umstand zurückzuführen, daß die politischen Parteien bei Erfüllung dieserihrer Aufgabe versagt haben. Sie haben die ihnen zugewiesene Mittlerrolle verlassen. Als Begierungsparteien sind sie zu den Höhen des Staates aufgestiegen, haben sie okkupiert und von dort her die Menschen beherrscht. Als Opposition haben sie das Staatsganze aus den Augen verloren und sich zu bedenken-, ja sogar oft gewissenlosen Verfechtern populärer Forderungen gemacht. Damit ist jenes Vakuum entstanden, in das - wie geschildert - neue Kräfte eindringen. Diesen fehlt aber jene Fülle der Möglichkeiten und Pflichten, die politische Parteien auszeichnen. Auch das sollte einmal gesagt werden. Wem dieses Urteil zu hart und kategorisch erscheint, der möge sich die Wirklichkeit der österreichischen Demokratie im halben Jahrhundert nach ihrer Wiederherstellung vor Augen führen.

Wenden wir uns dabei vor allen den Großparteien (siehe Seite 15) zu. Sie unterschieden sich sehr lange durch ihre grundsätzlichen ordnungspolitischen Vorstellungen. Stichwort: Marktwirtschaft oder Sozialismus. Das rief Furcht vor dem anderen und das Bestreben nach Macht hervor, um den jeweiligen Gegner von den Schalthebeln des Staates zu verdrängen. Dafür fand sich eine fast bedingungslos treue Anhängerschaft, die Sorge und Lenkungsanspruch ihrer politischen Richtung teilte. Um den Streit der Weltanschauungen zu gewinnen, war sozusagen jedes Mittel recht und man forderte Gehorsam ein. Die Truppen hatten zu dienen und der höheren Einsicht zuliebe das Maul zu halten.

Die Partei war in dieser Phase unserer politischen Entwicklung de facto oberste Instanz im Staat. Sie entschied, wer in die Regierung kam und das waren die Chefs. Die waren daher auch die Obrigkeit der Volksvertreter, welche ja auf den Listen der Parteien gewählt wurden. Der Parteioberste - als Kanzlerkandidat ins Amt berufen -sah keinen über sich und war niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig. Am ausgeprägtesten fand sich diese Situation in der linken Reichshälfte. (Was sagt allein dieses oft verwendete Wort aus!) Dort war man auch darauf bedacht, daß selbst der Bundespräsident als Staatsoberhaupt auf die ihm von der Verfassung zugeteilte Rolle verzichtete und Staatsnotar blieb. Das Parlament war mit seiner Mehrheit ohnedies in Hörigkeit entmachtet. Die Opposition ihrerseits verhüllte -um wieder zu Gott Janus zurückzukehren - das Gesicht der staatstragenden Verantwortung. Wer nämlich von der Macht ausgeschlossen war, glaubte den Kampf zu ihrer Erlangung mit Totalität führen zu müssen. Alles ist schlecht, was die da oben machen.

Diese jahrzehntelang in Geltung gewesenen Begeln der Parteipolitik sind hinfällig geworden. Mit der Furcht vor den bösen anderen, die alles ruinieren wollen, kann man keinen Machtanspruch mehr begründen. Über Staatsund Wirtschaftsordnung herrschtmitt-lerweile weitgehender Konsens und neue, ganz andere und drängende Probleme sind mit anderen Mitteln zu bewältigen. Die in Anspruch genommene eigene Unfehlbarkeit löst nur noch Spott aus, jedes Schwarzweißdenken wird als Zumutung für intelligente Wähler empfunden. Die wollen Fakten sehen und realistische Denkvorgänge präsentiert bekommen. Schon ganz gleichgültig ist ihnen, ob Amtsinhaber dem eigenen politischen „Lager” zuzurechnen sind oder nicht. Es zählen nur mehr Leistung, Sympathie und Vertrauen.

Es bleibt den Parteien jetzt gar nichts anderes übrig, als sich wieder in jene Mitte zu begeben, von der' die Bede wahr und dort redlich, verantwortungsvoll und vertrauenerweckend zu agieren. Zu dieser Mitte zurückzukehren heißt vor allem, anzuerkennen, daß es oberhalb noch sehr Vieles und Wichtiges gibt. Den Staat vor allem, der keineswegs den Parteien gehört, aber auch seine von der Verfassung berufenen Repräsentanten. Ein von der Bevölkerung gewähltes Staatsoberhaupt, ein Parlament als Vertretung aller - wohlgemerkt aller! - Staatsbürger, das Becht, das Gesetz und die Gerichte. Aber auch das, was man Gemeinwohl nennt und diesem hat sich jede Partei bedingungslos unterzuordnen, wenn sie ernstgenommen werden will.

Es bestehen sehr viele Anzeichen dafür, daß man bei den Parteien genau in diese Bichtung umdenkt. So gibt es ein wieder erwachendes Selbstbewußtsein des Parlaments und seiner Mitglieder. Wichtige Amtsträger - von ganz oben beginnend - lösen sich von der Vormundschaft einer Partei, ohne freilich zu vergessen, daß auf Gesinnung und Loyalität nicht verzichtet werden darf. Aber viele Politiker wurden auch stark verunsichert, als sie feststellten, daß die alten Bezepte keine Gültigkeit mehr hatten. Folge dieser Zweifel ist Besignation oder auch panisch-hektische Aktivität. Was sagt die Meinungsforschung, fragen sich viele, wie „komme ich an” und mit welcher Meldung „lande” ich bei den unentbehrlichen Medien und damit in der Öffentlichkeit? Wie kann ich unter allen Umständen originell sein und (positiv) auffallen? So mancher Pressedienst wird derart zu einer Sammlung von Peinlichkeiten. Man möge wieder mehr Gelassenheit an den Tag legen. Der eigentliche und unschätzbare Vorteil unserer Demokratie ist ja, daß sie den Wandel fördern und notwendige Änderungen ohne allzugroße Erschütterungen ermöglicht.

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