6770969-1969_01_12.jpg
Digital In Arbeit

Kubelik in München

19451960198020002020

Am 5. Dezember waren es fünf Jahre, daß wir Abschied von Deutschlands bedeutendstem zeitgenössischen Symphoniker nehmen mußten. Aus diesem Anlaß galt das 2. Musica-Viva-Konzert dieser Saison ganz dem Werk Karl Amadeus Hartmanns: Rafael Kubelik dirigierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Hingabe. Kubelik, der heute unumstritten zu den ersten Mahler-Interpreten unserer Zeit gerechnet wird, hat schon aus dieser Sicht heraus Zugang zu Hartmanns Klangekstasen und zu den Farbreizen dieser außergewöhnlich differenzierten Partituren, die nicht zuletzt auf Einflüsse der modernen Malerei zurückzuführen sind.

19451960198020002020

Am 5. Dezember waren es fünf Jahre, daß wir Abschied von Deutschlands bedeutendstem zeitgenössischen Symphoniker nehmen mußten. Aus diesem Anlaß galt das 2. Musica-Viva-Konzert dieser Saison ganz dem Werk Karl Amadeus Hartmanns: Rafael Kubelik dirigierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Hingabe. Kubelik, der heute unumstritten zu den ersten Mahler-Interpreten unserer Zeit gerechnet wird, hat schon aus dieser Sicht heraus Zugang zu Hartmanns Klangekstasen und zu den Farbreizen dieser außergewöhnlich differenzierten Partituren, die nicht zuletzt auf Einflüsse der modernen Malerei zurückzuführen sind.

Werbung
Werbung
Werbung

Man kann Hartmann aber nur vcdlkommen interpretieren, wenn man sich nicht nur als Musiker, sondern auch als Mensch für Ihn entschieden hat Das gut in diesem Fall für Kubelik ebenso wie für Dietrich Fischer-Dieskau, der die „Gesangsszene für Bariton und Orchester“ (zu Worten aus „Sodom und Gomorrha“ von Giraudcwa:) mit spontanem Ausdruck und souveräner Stimme gestaltete. In dieser Partitur, der letzten und unvollendeten Hartmanns, bäumt sich ein musikalischer Riese gegen Tod und Verzweiflung auf. Wie eine Vision steigen die Bilder herauf: „Man sieht den Wolf mitten in der Großstadt und die Laus auf der Glatze des Milliardärs. Und in dem Sturm und WogenpraM, in diesem Krieg aller Kriege bleibt nichts als Bankrott und Schande, das vor Hunger verzerrte Gesicht eines Kindes, der Schrei einer Wahnsinnigen und der Tod.“ Wenige Zeilen später mußte der Komponist abbrechen, dem Tod das Feld räumen.

Dieser „Gesangsszene“ ging die 4. Symphonie, für Streichorchester, aus dem Jahre 1947 voraus. Wir finden hier schon das Prinzip der Satzaufteilung in „langsam — schnell — langsam“, also umgekehrt zur klassischen Symphonie- beziehungsweise Sonatenform. In ausführlichen Gesprächen mit Hartmann spürte man immer wieder eine Aversion gegen Bruckner, aber gerade diese starke, auch formale Betonung der Adagio-Sätze ist nur eine konsequente Weiterführung der Bruckner-Adagio mit ihren sogenannten „göttlichen Längen“. Unterstreichende Satz-bezeichnungen, wie „con passione“, „risoluto“ oder „appassionato“, weisen auf den äußerst expressiven Klangcharakter dieser 4. Symphonie hin. Auch in der 6. Symphonie für großes Orchester spannt sich ein Adagio wie ein weiter romanischer Bogen über den 1. Satz, gefolgt von einer „Toccata variata“, in der Hartmann alle Künste kontrapunktischer Meisterschaft unter eine zwingende, schöpferische Idee bannt. Endlose Ovationen ließen erkennen, wie sehr sich das Publikum der Potenz Hartmann bewußt ist!

Ebenfalls aus Anlaß des fünften Todestages des Komponisten Karl Amadeus Hartmann, des Initiators der Musica Viva, wurde in München die Karl-Amadeus-Hartmann-Ge-sellschaft e. V. gegründet: Die Aufgabe dieser Gesellschaft soll es sein, das Andenken an den Komponisten wachzuhalten und die Pflege seines kompositorischen Schaffens zu fördern. Darüber hinaus soll im Sinn von Karl Amadeus Hartmann das zeitgenössische Musikschaffen publizistisch unterstützt werden. Geplant ist die Anlage eines Karl-Amadeus-Hartmann-Archivs und eine Bibliographie aller über ihn erschienenen und in Zukunft erscheinenden Veröffentlichungen. Ziel der Gesellschaft soll weiterhin sein, die Herausgabe noch unveröffentlichter Kompositionen und Schriften, die Förderung von Arbeitten, die sich mit seinem Werk befassen und ein tätiges Interesse an dem weiteren Leben der Musica Viva. Die Gesellschaft wendet sich an alle, denen die künstlerische Persönlichkeit Karl Amadeus Hartmanns etwas bedeutet hat und die die Bestrebungen der Gesellschaft unterstützen wallen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung