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Selbstsucht als Sucht nach dem Selbst

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Zwei Drittel Essay, ein Sechstel Autobiographie und ein Sechstel Roman, davon wieder der Großteil Liebesroman, das sind die Ingredienzien, aus denen Helmut Ei-sendles jüngster Band, „Der Egoist”, gemacht ist. Das Ergebnis dieser Zusammensetzung ist ein Stück nur vordergründig leicht lesbarer, eher etwas weniger als mehr unterhaltender Lektüre.

Ob der Titel mit „Der Egoist” richtig gewählt ist, erscheint anfänglich fragwürdig. Denn Krakauer, der Held, ist kein Egoist, dem es um nichts anderes als um seine Vorteile geht. „Er ist von der Warte der Welt aus betrachtet, zu nichts nutze. Man könnte ihn als selbstsüchtig bezeichnen. So etwas wie ein Egoist, der nichts will von der Welt, außer sich in ihr zu sehen.” Ein typischer Fall von Selbstsucht im Sinne von Sucht nach dem - Selbst also. Dieses Selbst oder besser dieses Ich stellt sich ausschließlich in der Auseinandersetzung mit sich selbst dar. Sei es, daß es einen Krimi schreiben will, sei es, daß es unbedingt von sich oder seiner Welt erzählt, die in erster Linie fast nur aus Geschriebenem besteht: „Er liebt nur die Welt aus Büchern”.

Was Krakauer selbst unter einem Egoisten versteht, erfahren wir nach fast hundert Seiten: „Er wird in erster Linie danach trachten, sich selbst zu beherrschen. Die Welt und die anderen bleiben ihm gleichgültig. Er will eben nur sich selbst erobern und ist damit das Gegenteil vom Altruisten.”

Damit sich Krakauer endlich zu dieser Definition durchringen kann, bedarf es eines kongenialen Gegenübers. Das findet er in einer Frau, in seiner Lana. Sie bringt auch die Wende in Eisendles Boman. Eine handfeste Handlung entwickelt sich erst in der Liebesgeschichte.

Deswegen gibt er seine zweite Lieblingsbeschäftigung, die Auseinandersetzung mit sich selbst, aber nicht auf. „In mir, denkt Krakauer, gibt es keinen Zweifel darüber, daß der ganze geistige Verkehr zwischen den Menschen nicht anderes ist als eine große Hysterie, mit der man zu beweisen versucht, daß man das eben sei, was man sei, ein Mensch von besonderer Bedeutung.” Daran kann auch die Begegnung mit Lana nichts ändern. Denn sie wird zur Wand, auf die er seine Sprachphiloso-phierereien projiziert. Was er dazu benötigt, holt er sich aus seiner Welt, der Welt der Bücher. Bobert Walser, Franz Kafka, Paul Valery oder Franz Josef Czernin werden zum Zweck Eisendle'scher -—” Sprachträumereien zitiert. Diese sind aber erst möglich, nachdem er bei Ludwig Wittgenstein oder Fritz Mauthner kräftig nachgeschlagen hat. Das klassische Paar vom philosophierenden Mann und seinem kongenialen Gegenüber, der lauschenden Frau, hat nach romantischem Vorbild auch bei Eisendle seine Verwendung gefunden. Fazit: das Buch endet in der Vereinigung der beiden Liebenden.

Doch es wird geredet und geredet. Solipsismus, Egoismus oder vielleicht gar Altruismus, am Ende, scheint es, ist das einerlei.

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