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Gesunde Gesundheits-Gutachten
An Stammtischen und ähnlich kommunikativen Versammlungsorten wird seit urdenklichen Zeiten bezüglich des Alkoholgenusses folgendes tiefgründiges Gutachten kolportiert: „Saufst wirst hin - saufst net, wirst a hin!" Wobei „hin" die volkstümliche Abkürzung für „hinüber" ist und den tödlichen Hinübergang ins Jenseits bedeutet.
Die Trefferquote dieser Prophezeiung wurde bisher noch durch kein wissenschaftliches Gutachten überboten. Dies erhöht in den Augen des gegen die Schulmedizin ohnehin skeptischen Zeitgeistes die Glaubwürdigkeit von alternativen Erfahrungswerten beträchtlich.
Woher angesichts solch geistiger Übermacht durchaus honorige Mediziner und Humanbiologen den Mut nehmen, überhaupt noch Untersuchungen über die Wirkung des Alkohols anzustellen, bleibt mir unerfindlich. Anscheinend ist es die Lust an der Differenzierung zwischen den Lebensverkürzungen, die ihre wissenschaftliche Neugier beflügelt. Möglicherweise spielt auch die der Medizin nicht ganz fremde Popularitätssucht eine gewisse Rolle. Der Alkoholmarkt ist groß, weltumspannend und reich.
Wer irgendetwas über Alkohol forscht, hat die Chance, seine Ergebnisse von breitem, förderndem Interesse weitergetragen zu wissen. Zumal, wenn die Ergebnisse, wie die jüngst bekanntgewordenen, dem Alkoholkonsum durchaus förderlich sein könnten. Mäßig, aber regelmäßig genossen, so vernahm man's kürzlich, sei ein Gläschen Wein der Gesundheit sogar recht nützlich, es verringere das Herzinfarkt-Risiko und
belebe den Kreislauf. Der Rotwein aus Bordeaux habe es da besonders in sich.
Prost denn! Vielleicht produziert bald ein österreichischer Winzer ein Traubenhaut-Extrakt, damit wir nicht auf Importe angewiesen sind und der Infarkt nicht die heimischen Wein-beißer allzu früh ereile.
Der Laie ahnt freilich nicht, wie viele wissenschaftliche Fachzeitschriften beträchtlichen Umfangs und klingenden Namens es auf dieser Welt gibt. Ihren Wert und ihre Verdienste sollte eine von vielen Krankheiten und Beschwernissen heimgesuchte Menschheit nicht in Frage stellen.
Das Rezept, nach dem die von vielen Medien übernommenen Forschungsergebnisse auf der Gesundheitsseite Zustandekommen, ähnelt allerdings manchmal der Meinungsbefragung, bei der der jeweilige Auftraggeber überraschenderweise seinen Vorstellungen einigermaßen nahekommt. Man nehme zum Beispiel je nach Zeit und Gelegenheit ein paar Dutzend oder ein paar hundert Krankengeschichten bedauerlicher Dahingeschiedener. Die eine Gruppe hat den favorisierten Wein fröhlich gesüffelt, eine andere Gruppe hingegen lebte, Zirrhose und Infarkt fürchtend, völlig abstinent. Der Computer erlaubt heutzutage alle möglichen Vergleiche. Und - siehe da! - im Durchschnitt hatten die Süffler elf Jahre länger gelebt. Die emstzunehmende Wissenschaft teilte das neben einer Reihe anderer Daten emotionslos mit, warnt vor voreiligen Schlüssen, stellt aber gleichwohl ihre naheliegenden Vermutungen an.
Mit Kurven, Tabellen und vielen Fachausdrücken ist die Veröffentlichung keine unterhaltsame Lektüre, Da aber nun das gesundheitsbewußte Volk auch etwas davon haben soll, bereiten flinke Übersetzer die Forschungsarbeit ins Gemeinverständliche auf.
Gesund sind solche Nachrichten jedenfalls für den wirtschaftlichen Kreislauf. Wer im Markt bleiben will, tut gut daran, sich beizeiten um ein paar Professoren mit flinken Computern und einer gutbestückten Datenbank umzusehen. Die Konkurrenz rastet nicht. Wer weiß, was noch alle: gesund ist!
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