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Konzentrationsregierung wird angeboten

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FURCHE: Auf welchen Säulen ruht die Vorarlberger Wirtschaft?

KESSLER: Sie ruht auf drei Säulen. Da ist einmal die Industrie, wir sind praktisch die industrieintensivste Region überhaupt - gemessen an der Bevölkerungszahl und Flächengröße. Im Rahmen der Industrie ist besonders stark die Tex-tilwirtschaft und in ihrem Rahmen wiederum die Stickereiwirtschaft. Vorarlberg produziert 95 Prozent der gesamtösterreichischen Stickereiproduktion, die sehr exportorientiert ist.

Die beiden anderen Säulen sind speziell der Fremdenverkehr und die Energiewirtschaft. Wir sind vor allem im Winterfremdenverkehr sehr stark, wenn man es in absoluten Zahlen sieht, nach Tirol und Salzburg an nächster Stelle. Wir sind aber auch im Sommer, vor allem, wenn man unsere Größe im Auge hat, sehr weit vorne.

FURCHE: Sie erwähnten die Energiewirtschaft. Wie stehen Sie zum Vorwurf des Bundeskanzlers, daß Vorarlberg aus der Schweiz Atomstrom beziehe, selbst aber Kernkraftwerke heftig ablehne?

KESSLER: Es ist so, daß Vorarlberg auf Grund seiner Standortsituation und der energiewirtschaftlichen Gegebenheiten stark in den europäischen Stromverbund eingebunden ist. Natürlich hat der Strom keine Masche. Wir sind nicht in der Lage zu prüfen, kommt nun der Strom aus dem Ausland zu uns aus kalorischen Kraftwerken oder aus Atomkraftwerken. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. So gesehen, glaube ich, ist der Vorwurf unbegründet.

Unser Energiekonzept und auch das Verbundkonzept beruht nicht auf Atomstrom, sondern das sind ganz einfach Stromlieferungsverträge, die wir mit diesen deutschen und Schweizer Partnern geschlossen haben, die aber in keiner Weise auf die Frage Atomstrom oder nicht Atomstrom eingehen. Sie stammen ja auch aus einer Zeit, wo der Atomstrom gar nicht aktuell war.

FURCHE: Sie nannten die Energiewirtschaft eine Säule der Vorarlberger Wirtschaft. Heißt das, daß Vorarlberg aus der Energiewirtschaft größeren Gewinn zieht, also mehr exportiert als importiert?

KESSLER: Jä, sicher. Ein großer Teil des Stroms, den die Vorarlberger Iiiwerke produzieren, geht in den Export. Man kann sicher sagen, daß die Vorarlberger Iiiwerke das erste Stromexportunternehmen Österreichs überhaupt gewesen sind und daß heute die Iiiwerke nach wie vor ein sehr bedeutender Exportträger sind, für Österreich im allgemeinen und unser Land im besonderen. )

FURCHE: Vorarlberg produziert also mehr Strom, als es selbst verbraucht?

KESSLER: Das gilt nicht immer. Wir beziehen zum Teil - und nicht unerhebüch - Strom von den Nord-

ostschweizerischen Kraftwerken, beziehen zu gewissen Spitzenzeiten, wo es notwendig ist, auch Strom von den deutschen Partnern, exportieren aber auf der anderen Seite sehr stark den von den Illwer-ken erzeugten Strom in die Bundesrepublik und via Bundesrepublik auch in die Benelux-Länder.

FURCHE: Sind die Wasserkräfte im Land bereits total ausgebaut?

KESSLER: Es sind noch Möglichkeiten gegeben. Wir sind jetzt dabei, und zwar das Landesunternehmen, die Vorarlberger Kraftwerke AG, im Bregenzer Wald im Raum Langenegg ein neues Werk

zu errichten. Dieses Werk soll zu einem beachtlichen Teil bereits heuer im Frühsommer in Betrieb gehen. Die Vorarlberger Iiiwerke sind seit längerer Zeit mit der Vorprojektierung für ein weiteres Kraftwerk im Raum Frastanz-Nenzing beschäftigt, also im Bereich des Illflusses. Es ist wahrscheinlich mit diesem Walgau-Kraftwerk das Ende für den Ausbau der Wasserkräfte noch nicht gekommen.

FURCHE: Werden Sie nach den nächsten Landtagswahlen beiden anderen Parteien eine Beteiligung an der Landesregierung anbieten?

KESSLER: Wir haben von 1945 bis 1974, also bis zur letzten Regierungsbildung vor viereinhalb Jahren, immer dieses Prinzip verfolgt, das heißt, wir haben im Lande als stärkste Partei, obwohl wir die Möglichkeit hätten, nach der Verfassung, die Regierung allein zu bilden oder nur mit einer Partei zusammen zu regieren, beide anderen Parteien - also die Sozialisten und die Freiheitlichen - in die Regierung hereingenommen. Das ist aber nie nach Proporz geschehen, sondern auf Grund eines freiwilligen Verhaltens.

1974 haben die Sozialisten erklärt, wenn ihr Kandidat für die Landesregierung nicht akzeptiert wird, gehen sie in die Opposition, obwohl

ihnen bis zum Schluß die weitere Mitarbeit angeboten worden war, aber nicht mit dem damals von ihnen nominierten Mandatar.

Ich stehe nach wie vor dazu, daß auch nach der nächsten Wahl im Herbst die Konzentrationsregierung angeboten werden soll.

FURCHE: Geben Sie auch auf Bundesebene einer Konzentrationsregierung den Vorzug?

KESSLER: Ich bin jedenfalls auf Bundesebene nicht unbedingt ein Anhänger einer Alleinregierung, vor allem dann nicht, wenn sie nur mit einer ganz knappen absoluten Mehrheit regiert. Ich persönlich würde bei 50,5 Prozent eine Alleinregierung im Land für problematisch halten, obwohl sie von der Verfassung her möglich wäre. Wir haben es im Land nie getan, obwohl wir es gekonnt hätten und unsere absoluten Mehrheiten immer viel stärker waren.

Ich halte eine Regierung, in der zwei politische Parteien des Staates vertreten sind, für eine gute Form, wobei ich damit kein Votum abgebe, in welcher Zusammensetzung, ich halte an sich auch die Konzentrationsregierung für möglich. In schwierigen Zeiten würde ich auch eine Konzentrationsregierung nicht ausschließen.

FURCHE: Halten Sie solche Zeiten jetzt für gekommen?

KESSLER: Ich glaube, daß man jetzt nicht unbedingt sagen kann, daß nur eine Konzentrationsregierung das richtige ist, ich kann mir durchaus eine Zweiparteienregierung vorstellen.

FURCHE: Es sollten aber diese zwei Parteien doch zusammen deutlich mehr als 50,5 Prozent haben?

KESSLER: Ja, das wäre sicher besser. Ich hoffe, daß nicht eine Situation eintritt, in der zwei Parteien nur knapp 50 Prozent haben, sicher ist es besser, wenn zwei Parteien, die zusammen die Regierung bilden, über eine entsprechend tragfähige Mehrheit verfügen.

FURCHE: Finden Sie, daß in Österreich der Föderalismus mehr ausgebaut werden sollte?'

KESSLER: Das glaube ich absolut. Die neun Bundesländer haben heute sicher nicht die Stellung, die traditionellerweise und von der Rechtswissenschaft her Gliedstaaten zugestanden wird. Gliedstaaten in echten Bundesstaaten, ich denke hier an die Bundesrepublik Deutschland, an die Schweizerische Eidgenossenschaft oder an die Vereinigten Staaten von Amerika, haben weit mehr Kompetenzen als die Bundesländer in Österreich. Gliedstaaten müßten vor allem eine gewisse Steuerhoheit haben, und die fehlt den österreichischen Bundesländern praktisch zur Gänze.

Mit Landeshauptmann Herbert Keßler sprach Heiner Boberski.

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