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Wetterleuchten am Bodensee

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Zwei Tage bevor der „Fliegende Holländer“ auf der Festspielbühne von Bregenz seine Premiere erlebte, sollte ein anderer Prominenter fliegenderweise seine Abschiedsvorstellung geben: der Vorarlberger Landeshauptmann und Landespartei-obmann der^ÖVP Dr. Kessler. Die Aufführung des „fliegenden Parteichefs“ wurde vorerst abgesetzt und vielleicht nur bis zum nächsten Landesparteitag im Herbst verschoben. Ein erstes Wetterleuchten ist nun jedoch evident, eine personalpolitische Entwicklung, die innerhalb der ÖVP auch ihren Weg durch den Arlberg-tunnel finden könnte.

Man nahm in „Innerösterreich“ nur sehr zögernd wahr, was sich jenseits des Arlbergs ereignete: Ein Landeshauptmann und VP-Partei-chef, dem persönliche Integrität und politisches Format nicht abgesprochen werden können, wurde von einem Flügel junger Funktionäre zum Abgang aufgefordert, weil man befürchtet, mit Kessler die nächsten Landtagswahlen nicht mehr gewinnen zu können. Indizien für diese Befürchtung sind die für die Volkspartei alarmierend schlechten Ergebnisse der letzten Wahlgänge im ehemals bis ins Mark „schwarzen“ Ländle.

Die Niederlagen Kesslers mögen vielleicht etwas überraschender gekommen sein als die noch nicht überwundenen Niederlagen der Bundes-ÖVP. Doch dieser Umstand täuscht nicht über die Tatsache hinweg, daß der Vorarlberger Parteichef nicht mehr und nicht weniger ist als ein Politiker vom Zuschnitt der zur Zeit in der Wiener Kämtnerstraße dominierenden Männer. Damit überschreitet der Sturm auf Kessler auch die Grenzen des rein landespoliti-scheri Problems.

Die Niederlagen der Vorarlberger ÖVP hatten ihren Ursprung genau wie jene der Bundes-ÖVP darin zu suchen, daß hier eine Partei — oder besser: eine Parteiführung — einem Konservativismusbegriff anhing und dabei gesellschaftliche Entwicklungen nicht zur Kenntnis nahm, die den (wenigstens als solchen geschminkten) liberalen Großbürger Bruno Kreisky empor schwemmten.

Während nun an der Basis der ÖVP, aber auch in einigen regionalen Führungsgremien (siehe Graz und

Klagenfurt) diese gesellschaftliche Entwicklung mit- oder nachvollzogen wurde, soll Kessler versucht haben, Demokratisierung vor einer Kulisse zu spielen, hinter der man selbst im kleinen Kreis das Selbstverständnis der absoluten Herrschaft huldigte. Wenn man — unoaas gilt für'die ganze ÖVP — auch die als notwendiges Übel verstandenen Programme schreiben läßt, in denen es genau umgekehrt formuliert wurde, so geht man doch noch immer vom Anspruch aus, daß nicht die Partei für die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft für die Partei dazusein habe. Modernisiert können nur die formalen Mittel werden, mit denen man den Dogmatismus der eigenen Heilslehre unter die Leute zu bringen versucht. Es mag vorerst verwundern, daß

die Auflehnung gegen einen Repräsentanten dieser Denkweise zuerst in der Vorarlberger ÖVP erfolgte, deren Delegierter Hans Bürkle es noch auf dem Bundesparteitag 1971 als „Frozzelei“ empfand, als das Parteistimmvieh nicht widerspruchslos die Personalentscheidung (hinsichtlich der Wahl Karl Schleinzers zum Par-teiobmann) der neun Länderpartei-chefs hinnahm. Hier könnte jedoch die Physik mit der abgewandelten Erklärung weiterhelfen, daß stärkerer Meinungsdruck von oben nach unten um so stärkeren Gegendruck von unten nach oben erzeugt, womit der vorerst völlig überraschend gekommene Ausbruch der Basismeinung in der bislang in strenger Autoritätsgläubigkeit dahinschwimmenden Vorarlberger ÖVP leicht erklärbar wird.

Damit wäre aber auch nur der Beginn einer Entwicklung angezeigt, deren Start von der ÖVP am Personalparteitag 1971 noch versäumt wurde und die nun schrittweise über die regionale Ebene bis an die Bundesspitze herangetragen zu werden scheint.

Es ist zu erwarten, daß andere Länder folgen werden.

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