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Neue Ideen gibt es nicht!

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„Über Tanz kann ich nicht reden, ich habe keine Worte': George Balanchine, einer der prominentesten russisch-amerikanischen Choreographen, der seit über vier Jahrzehnten mit rund 200 Arbeiten Baüettge-schichte (und -geschichten) gemacht hat, wehrt Gespräche über Tanz ein wenig ab: „Der liebe Gott hat mich gelehrt: hör, schau, riech... aber mach deinen Mund nicht falsch auf! Also!“ Nun ist Balanchine nach fast vier Jahren erstmals wieder nach Wien gekommen, um für 1977 seine Staatsopernpremiere von Brahms' „Liebeslieder-Walzer“ und die Neueinstudierung von ,J5erenade“ und ,J?ie vier Temperamente“ vorzubereiten und sich eine attraktive Wiener Besetzung zusammenzusuchen.

„Ich komme immer sehr gern hierher.“ Fast herzlich sagt er das. Keine Spur von Floskel, von Interviewroutine. „Deshalb habe ich meine ,Liebeslieder' hier erstmals einer fremden Kompanie anvertraut.“ Und er schwärmt davon, daß er eigentlich „nach „austro-deutscher Art“ erzogen wurde, daß er damals in Georgien — „und das ist nicht Rußland!“ — als Kind einer georgischen Mutter und eines russischen Vaters tu Weihnachten selber deutsche Lieder gesungen habe, daß Rußland — ,,sie brauchen ja ' tir nach Sankt Petersburg zu schauen“ — schließlich eine deutsch-italienische Kultur pflegte. Brahms habe er sich vielleicht auch gerade deshalb immer so verbunden gefühlt. Aber wenn er heute in Amerilta labt, so fühle er sich auch ganz als Amerikaner. „Nur englische Poesie verstehe ich heut' noch nicht ganz. Da tcaren mir Dichter wie Puschkin, die Mentalität der russischen Poesie, doch leichter erfaßbar.“

Aussagen und Tendenzen in Balanchines zutiefst klassischen Arbeiten: „Ich erkläre nichts. Ich will Brahms' Eigenart bewahren, nirgends in die wundervolle Musik einbrechen, nichts hineininterpretieren. Früher, als ich in Hollywood war, hat man jedes Stück mit enorm dicker Musik unterlegt, typischer Movie-Music. Genau das Gegenteil ist hier Brahms für mich. Man darf seine Musik nicht... wie heißt das, ,to spoil'... beschmutzen!“ Und Brahms in Tanz umzusetzen, sei besonders schwer, „weil man nichts von Mechanik des Balletts spüren darf“.

Balanchine kommt im Gespräch auf die Entwicklung des zeitgenössischen Tanztheaters: „... jeder kann tun, was er will. Ich denke darüber nicht nach. Wir sind wie Tiere, von denen jedes seine Lebensweise hat. Und es ist wie mit der Schönheit oder einem schönen Mädchen: Was macht Schönheit aus? Unglücklicherweise braucht der Mensch überall eine Krücke, die Sprache, um etwas auszudrücken!“

Gerade dieses Problem zu lösen, Probleme des Tanzes durch den Tanz zu bewältigen..., das hat Balanchine für sich perfekt gelöst. Damit hat er Geschichte gemacht. Fragt man ihn nach neuen Ideen und neuen Balletten, antwortet er sehr typisch: „Neue Ideen, nein .., die gibt es gar nicht. Neue Ballette ... ja! Jährlich ein bis zwei, die ich — gemeinsam mit Jerome Robbins — für unsere Kompanie in New York schaffe.“

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