6808299-1972_20_01.jpg
Digital In Arbeit

Poker mit Moskau

19451960198020002020

Nixon besann sich der Vergangenheit, um für die Zukunft vorzubauen. Er orientierte sich an der Entscheidung seines einstigen Gegners im Kampf um das höchste Amt der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, den Sowjets die Stirn zu bieten. Nixon riskiert — wohl den einstigen Erfolg vor Augen — ein zweites Kuba.

19451960198020002020

Nixon besann sich der Vergangenheit, um für die Zukunft vorzubauen. Er orientierte sich an der Entscheidung seines einstigen Gegners im Kampf um das höchste Amt der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, den Sowjets die Stirn zu bieten. Nixon riskiert — wohl den einstigen Erfolg vor Augen — ein zweites Kuba.

Werbung
Werbung
Werbung

Während Kennedy jedoch 1962 das redne Aufbieten einer kombinierten Luft- und Seearmada genügte, um Chiruschtschew zum Einlenken zu bewegen, rechnet Nixon offenbar mit einer weniger flexiblen Haltung der gegenwärtigen Kreml-Führung. Am Donnerstag um die Mittagsstunde sollen also die Zünder der Seeminen vor dem Hafen von Haiphong scharf werden, mit deren Explosivkraft Nixon und seine Berater hoffen, dem Morden auf dem indochinesischen Kriegsschauplatz Einhalt zu gebieten. Damit zieht „Tricky Dicky“ sein schärfstes Atout im Poker um die Macht. Mit diesem Trumpf hofft er, sowohl den Moskauer Gipfel als auch die Präsidentenwahl zu retten. Wahrlich ein hoher Einsatz. Fürs erste scheint er der Gegenseite die Entscheidung zugeschoben zu haben. Vor seinen Wählern soll Nixon der Mann bleiben, der den Weg der Entspannung weitergeht, den Moskauer Gipfel wünscht, den Krieg beenden, die GI's und noch mehr, die Kriegsgefangenen heimführen will.

Oder drängte Nixon nur die Angst zu seiner Entscheidung, den amerikanischen Truppen könnte ein vietnamesisches Dünkirchen widerfahren? Die Angst, den Millionen der amerikanischen Wähler als Verlierer in der Wahlkampagne präsent zu sein? Es sprechen einige Gründe dafür, daß man auch im Weißen Haus zu der Überzeugung gelangte, Hanoi könnte seinerzeit losgeschlagen haben, ohne in dieser Frage mit der sowjetischen Schutzmacht abgestimmt zu sein. Die bittere Erfahrung der Nordvietname-sen von 1954, nach einer siegreichen Schlacht durch die eigenen Verbündeten am Verhandlungstisch einen schlechten Waffenstillstand diktiert erhalten zu haben, mag die politische und militärische Führung in Hanoi zu einer Mobilisierung der letzten Reserven bewogen haben.

Die Männer am Roten Fluß sahen daher möglicherweise weniger in der amerikanischen Vietnamisierungs-strategie die größte Gefahr für den Lohn eines mehr als 20 Jahre andauernden Waffenganges, ala vielmehr in der Reisediplomatie des amerikanischen Präsidenten. Und hier ging für Hanoi eindeutig vom Moskauer Gipfel eine größere Gefahr aus als von der Annäherung mit der Pekinger Führung.

In einem Wahljahr freilich pflegen sich US-Präsidenten primär nach der Wirkung im eigenen Land zu richten — und weniger nach weltpolitischen Überlegungen. Sollte Nixon — der „Tricky Dicky“ seiner Wahlhelfer — hier eine Ausnahme bilden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung