"Gottes Wort mit Händen verkünden“

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Jahrzehntelang hat Franz Reiss seine ganze Kraft und Zeit in seinen Bauernhof im Waldviertel gesteckt. Bis er vor 20 Jahren eine weitere Aufgabe fand und das erste Mal in ein Flugzeug stieg, um Brunnen in Ecuador zu bauen.

Am Sonntag geht man in die Kirche. So ist es jedenfalls am Land noch Brauch. Auf den Straßen des Waldviertler Orts Langau nahe der tschechischen Grenze ist sonntagvormittags niemand zu sehen. Franz Reiss kommt gerade von der Messe in der Pfarrkirche nach Hause. Doch "nur am Sonntag in die Kirche zu gehen und das wär’s dann“, ist dem Waldviertler zu wenig. Der 70-Jährige ist nicht nur in Langau Landwirt.

Bis zum Jahr 1989 war die Welt von Franz Reiss auf den knapp 700 Einwohner zählenden Ort Langau und seine Umgebung beschränkt. Dann fügte es das Schicksal, dass man seine Hilfe in Ecuador in Südamerika brauchte. In der Annahme, dort sein Wissen aus der eigenen Landwirtschaft anwenden zu können, ließ sich der damals 49-Jährige auf das ungewisse Abenteuer ein - und bestieg zum ersten Mal in seinem Leben ein Flugzeug. Für ein ganzes Jahr war er dann in Übersee. Und er sollte etwas arbeiten, das er noch nie gemacht hatte: Brunnen bauen.

Nicht nur weil er vergangenes Wochenende mit seiner Frau die "Goldene Hochzeit“ feierte, liegt die Frage nahe, was sie damals von seinem einjährigen Auslandseinsatz gehalten hat. Lange habe er gezögert, ehe er ihr davon erzählt hat: "Irgendwie hat sie damit schon gerechnet“, erinnert er sich an die Reaktion seiner Ehefrau. Wären sie und sein damals 19-jähriger Sohn und dessen Geschwister nicht gewesen, wäre aus seinem Plan ohnehin nichts geworden. Sie haben den Bauernhof, der heute knapp 50 Kühe der alten Waldviertler Blondviehrasse zählt, betreut und ihm damit seinen Einsatz ermöglicht.

Fünf weitere Male ist der Langauer dann noch nach Südamerika gereist. Über die österreichischen Priester, mit denen er in Ecuador zusammengearbeitet hatte, erfuhr er von anderen Projekten. 2004, im gleichen Jahr, in dem Reiss seine Arbeit in Ecuador abgeschlossen hatte, reiste er zum ersten Mal nach Albanien. Auch wenn sich viele Probleme und Herausforderungen zu wiederholen schienen, war es doch eine ganz andere Welt. Am besten ist ihm noch das fehlende Vertrauen, das ihm anfangs im Land am Balkan begegnete, in Erinnerung. Verstärkt wurde seine Einschätzung durch den Vergleich mit Südamerika: "In Ecuador hätte ich jede Revolution anfangen können. Die Menschen hätten sich mir sofort angeschlossen. In Albanien muss man sich das Vertrauen erst hart erarbeiten.“

Die Bedeutung des Wortes "Nichts“

21 Mal hat sich Reiss seitdem auf den Weg nach Albanien gemacht. Dort durfte er jetzt endlich das tun, womit er schon sein Leben lang im Waldviertel seine Zeit verbracht hat. Er arbeitete als Bauer und half mit, die landwirtschaftliche Produktion in der ländlichen Gegend aufzubauen: Gemüse, Hühner, Eier und Käse, später auch noch Schweine. Er erinnert sich an die brachliegende Gegend, die er bei seiner ersten Ankunft vorgefunden hat: "Die Bedeutung des Wortes ‚Nichts‘ habe ich erst in Albanien kennengelernt.“

Auch wenn der Waldviertler noch vital und voller Lebenskraft wirkt, drängt sich die Frage auf, warum er diese Mühen neben seiner alltäglichen Arbeit und in seinem Alter noch auf sich nimmt. Er zögert und sucht nach den richtigen Worten, mit denen er seine Motivation beschreiben könnte. Es gebe eine ganz klare Antwort, aber er zweifelt, ob die auch verständlich wäre. Schließlich ringt er sich durch und sagt es so, wie er es sich denkt: "Das Wort Gottes mit den Händen, mit dem Leben zu verkünden.“

Auch wenn die Arbeiten, die der grauhaarige, vollbärtige Mann seit mehr als 20 Jahren im Ausland verrichtet, an Entwicklungshilfe erinnern, wehrt er sich gegen das Etikett "Entwicklungshelfer“. Diesen Titel lehnt er für sich kategorisch ab und unterstreicht seine Abneigung dagegen mit heftigem Kopfschütteln. Sein Vorbehalt gründet in dem Gefühl, dass bei Vertretern dieser Profession oft das Projekt zu sehr im Vordergrund steht. "Mir geht es um die Menschen. Wenn das Projekt scheitert, ich aber bei den Menschen etwas erreicht habe, war es für mich immer noch sinnvoll.“

Fast 1000 Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem niederösterreichischen Heimatort des Bauern und seinem albanischen Einsatzort Romanat. Trotz der Distanz erkennt Reiss viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Beide Dörfer haben um die 350 Häuser, jedoch leben in Romanat um 1000 Menschen mehr als in Langau. Weil es im albanischen Dorf mehr als zehnmal so viele Schüler gibt wie in Langau, taucht für Reiss die Frage auf: "So hoffnungslos es in Romanat aussieht: Aber für welches Dorf gibt es eine Zukunft?“

Auf die ohnehin nicht ganz ernst gemeinte Frage, was für ihn nach Albanien denn noch alles auf dem Plan steht, kann sich Reiss das Lachen nicht verkneifen: Ein Roma-Dorf in Rumänien wird das nächste Einsatzgebiet für den 70-Jährigen. Davor geht es aber zu Pfingsten noch einmal für zwei Wochen nach Albanien.

Landwirt

war Franz Reiss hat bis vor 20 Jahren im niederösterreichischen Langau. Er betrieb eine Landwirtschaft samt Viehzucht. Seit 1989 engagiert sich der 70-jährige Waldviertler bei Projekten in Ecuador und Albanien, um den Menschen beim Aufbau einer Existenz zu helfen.

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