6870331-1978_20_26.jpg
Digital In Arbeit

Die Teta-Tant

Werbung
Werbung
Werbung

Über den Schnittpunkt dreier Völker, Kulturen, Sprachen zu schreiben, dürfte nicht schwierig sein. Es gibt darüber viel abzuschreiben. Noch leichter scheint es, darüber zu reden, denn wo wird hierzulande diese Konstellation nicht beinahe kultisch beschworen?

Aber genau in diesem Schnittpunkt zu leben, den Alltag zu bewältigen, ist eine andere Sache, eine vergnügliche, wenn man Alltäglich mit Monotonie gleichzusetzen gewohnt ist. Bei genauer Betrachtung haben die staatlichen Grenzen gar nichts mit diesem Schnittpunkt zu tun, sie sind eher Zufall und geschichtlich gesehen so jung, im Verhältnis zur jahrhundertealten Dreisprachengegebenheit, daß man um die Legalität besorgt sein muß, beides in einem Atemzug, in einem Satz zu nennen.

Die Grenze sorgt aber dafür, daß nichts mehr selbstverständlich ist und daher Alltäglichkeit sich erst gar nicht einstellt. Wer 1918 auf seinem Grund konkret das vorfand, was sich auf der Landkarte als roter Strich zeigt, der hat mit der Klärung seiner Besitzansprüche Jahrzehnte zu tun gehabt. Administrative und politische Mühlen mahlen langsamer als Gottes Mühlen. Heu wurde im Ochsenkarren über die Grenze geführt. Heu soll ein gutes Kühlmittel für Wein sein. Wem die Grenze durch die Familie gelegt wurde, kann sich ein Pässemuseum anlegen.

Bei kaum erwähnenswerter Distanz der einzelnen Geburtsorte wurde das eine Familienmitglied in Altösterreich,

das andere in Jugoslawien oder in Italien, im Deutschen Reich oder in einer der beiden österreichischen Republiken geboren. Der Geburtsort hat aber an sich nichts mit der derzeitigen Staatsbürgerschaft zu tun. Österreich hat mir letztere anstandslos gewährt, nachdem ich als geborene Italienerin altösterreichischer Abstammung das Tausendjährige Reich schadlos überstanden hatte. Identitätsprobleme

hatte ich dabei keine. Ich blieb Kärntnerin.

In der Schule lernten wir Cicero übersetzen: „Auf zwei Arten wird Ungerechtigkeit verübt. Entweder auf dem Weg der Gewalt oder durch Betrug. Der Betrug paßt zum Füchslein, die Gewalt zum Löwen und beides widerspricht der Natur des Menschen.“ Seitdem wir um das Dreiländereck nicht mehr grenzenlos leben, hat Cice-ros Satz hier eine gewisse Realität.

Aber die Füchslein sind wir. Meine Mutter erzählt, ich hätte als kleines Kind im Zug schön trocken und still gehalten, als sie einen Sack voll Reis -in einem Kissenüberzug und mir darauf getarnt - über die Grenze brachte. Was die Taler, die mir hüben und drüben in den jeweiligen Landeswährungen vom Verwandtensternenhimmel herunterfielen, in meiner eigenen Währung wert waren, wußte ich, noch ehe

ich den Wert der Taler selbst erkannt hatte.

Wir mogeln uns durch die Sprachen. Da gibt es welche, die können drei und die Dialekte dazu und nichts davon ordentlich, dann gibt es Sprachgenies, die ihre Kenntnisse in einer der Sprachen bis zur Manie entwickeln. Wer hier lebt, muß schon sträflich gedankenlos sein, wenn er nicht ins Grübeln über die Sprache selbst verfällt. Denn

hier kann ja nichts selbstverständlich sein.

Ich mißtraue allen Löwen, die heute um uns herum brüllen, die wir eigentlich am liebsten auf dem Dreiländereck Pasta asciutta, Geselchtes und Sli-bovitz jausnen möchten. Ich bin auch nicht gern das Füchslein, das ich manchmal zu sein gezwungen bin. Die italienischen Zollbeamten mögen es mir nicht krumm nehmen. Wenn sie so meinen Paß kontrollieren, lächle ich insgeheim. In all ihrer uniformierten Schönheit können sie nicht ahnen, wie gut ich die Schlupfwinkel, Waldlichtungen und geheimen Wege rund um Goggau kenne. Es gab Zeiten, da gab es die Grenze und keine Pässe. Ein Teil der Familie war drüben und wir hier.

Hier ist ja nicht viel, was man so gemeinhin normal nennt. Nicht einmal, daß man in Friedenszeiten mit gültigem Paß ungehindert über die Grenze kommt. Ein Lastwagen oder Kopf

quergestellt genügen, um Absurditätsgefühl zu vermitteln, Anfang jeder Freiheitserfahrung. Der Phantasie sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt. Aber selbst sie erkennt bald ihre Grenzen, wenn sie sich ausdenken soll, was alles hier nicht möglich wäre.

Kann man hierzulande noch grenzenlos leben? Grenzenlos reich geworden ist hier, meine ich, noch nie jemand, lediglich grenzenlo's an Einfällen, und in diesem oft absurden Alltag oben zu bleiben. Man müßte untersuchen, inwieweit die Tatsache, daß es hier Grenzen gibt, sich abgefärbt hat auf den politischen Alltag, wo es, wie man hört, auch Grenzen geben soll. Wir kleinen Leute kennen diese psychologischen Grenzen inzwischen recht genau. Jenseits der Grenzen ist die Welt nicht aus, aber anders, man stellt sich darauf ein. Man kauft anders ein in Tarvis, anders in Laibach und anders in Klagenfurt. Es muß doch schließlich alles irgendeinmal eine Grenze haben.

Mein Urgroßvater war Bürgermeister in Uggovitz und ließ seinen Adelsbrief irgendeiner nassauischen Provenienz unbeachtet vermodern. Bauer zu sein war ihm genug. Selbst in Uggovitz. Heute hängt sein und seiner Frau Porträt über einem Kamin im Quartier Latin in Paris. Ein paar Grenzen mehr oder weniger, ein paar Sprachen mehr oder weniger, ein paar Hektar mehr oder weniger, was soll's.

Mein erster Kindheitseindruck von Bedeutung war also nicht der, daß alle gleich sind, sondern daß jeder anders ist. Wem hätte man sich anpassen sollen? Jeder war innerhalb des Fami-

lienkreises je nach Standpunkt eine andere Minderheit. Das Gleichheits-prinzip hat sich auf eine andere Ebene verlagert. Alle sind gleich selbstbewußt.

Was heute so ist, kann morgen anders sein. Absurdität kann auch darin liegen, daß man trotz dieser fundamentalen Erkenntnis dafür sorgt, daß das Morgen so sei wie das Heute. Auch da, wo selbst die Erde verrückt wird. Was wirklich bleibt in diesem kopfwehmachend erheiternden Karussell wies mir meine Großmutter. Sie schleppte mich, zwar nicht wie ihre Altvorderen mit Erbsen in den Schuhen, auf den Berg Maria Lusari, dem allen drei Völkern gemeinsamem religiösen Zentrum - es war mühsam und ist angesichts der Seilbahn heute nicht mehr nachvollziehbar.

Mir erzählte kürzlich ein Schuldirektor, welcher Schock es für ihn gewesen sei, als er zehnjährig aus den Tiefen des Mölltales kam und entdeckte, daß es Leute gab, die einen anderen Dialekt sprachen. 1945 verschlug es eine Tante aus Belgrad zu uns nach Kärnten. Weil die einen sie Teta, die anderen Tante nannten, machten wir Kinder aus ihr die Teta-Tant. Nur durch Zufall, weil ein Teil der Verwandtschaft eben nicht anwesend war, wurde sie vermutlich nicht zur Te-ta-Tantezia.AberdieseTeta-Tantgibtes nur ums Dreiländereck. Zu seinen Füßen liegt sie auch begraben. Daß manches auch stimmen kann, gehört eben auch zur Absurditätserfahrung.

IRMGARD

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung