"Wettbewerb braucht Strukturen"

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Die EU ist kein bürokratischer Moloch. Auf diese Sichtweise legt Brigitte Ederer, Vorstandsvorsitzende von Siemens Österreich, wert. Nur weil die EU-Kommission eine für eine Firma unpopuläre Entscheidung fällt, bedeute dies nicht, dass das System per se falsch ist. Wer nach Alternativen rufe, müsse auch überlegen, ob diese den Status quo verbessern.

Die Furche: Wie sehr sind Sie durch den Mutterkonzern fremdbestimmt?

brigitte Ederer: Siemens Österreich ist eine Tochter eines weltweit agierenden Konzerns. Wir sind schwerpunktmäßig damit beschäftigt, die Produkte und Dienstleistungen, die der Konzern zur Verfügung stellt, in unserem Wirtschaftsraum zu vermarkten. Wir haben allerdings eine Sonderstellung innerhalb der Gruppe, da wir noch eine eigene Elektronikfertigung und eine große Forschungs-und Entwicklungs-Struktur haben. Zusätzlich haben wir eine Sub-Headquarter-Funktion, und sind für acht zentral-und osteuropäische Länder zuständig.

Die Furche: Bedeutet Sub-Headquarter-Funktion also mehr Entscheidungsfreiraum für Sie?

Ederer: Wir haben einen hohen Marktanteil in Österreich und in den letzten Jahren gute Ergebnisse abgeliefert. Das ist der wirkliche Schlüssel zu einer gewissen Freiheit (schmunzelt).

Die Furche: Die Siemens-Handy-Sparte war nicht erfolgreich, in welchen Bereichen liegt die Zukunft?

Ederer: Ein internationaler Konzern lebt, und das bedeutet, dass es Bereiche gibt, die man neu aufbaut, und jene, von denen man sich trennt. Das ist immer schmerzvoll und schwierig, weil oft viele Arbeitsplätze daran hängen. Ein aufstrebender Bereich ist aus der Sicht von Siemens Österreich die Maut. Wir haben das Weltkompetenzzentrum für die elektronische Mauterhebung im Land. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das eine, neue stark wachsende Aktivität für uns sein kann.

Die Furche: Gibt es noch eine weitere Zukunftssparte für Siemens?

Ederer: Da ist noch die Biometrie (Vermessung quantitativer Merkmale von Lebewesen; Anm.) zu nennen, deren Weltkompetenzzentrum in Graz angesiedelt ist. In einer Welt, die immer mehr mit Sicherheitsproblemen konfrontiert ist, spielt die Frage der hundertprozentigen Erkennung einer Person eine zunehmend wichtigere Rolle.

Die Furche: Die Hydro-Sparte der VAI musste laut EU-Wettbewerbsbehörde verkauft werden. Jetzt kommt der neue Eigentümer, Andritz, auf Grund des Illisu-Staudamm-Projektes in der Türkei unter Beschuss. Welche Entscheidungen fielen da noch unter Siemens-Federführung?

Ederer: Wir haben diese Sparte nie geführt. Als wir die Voest Alpine Industrieanlagenbau (VAI) gekauft haben, hat die EU sofort gesagt, dass der Hydro-Bereich tabu ist. Da ist die EU ziemlich strikt und schnell. Man kauft ein Unternehmen und muss dies bei der EU-Kommission anmelden. Das kann ein kleines Problem sein. Denn während die Kommission sich das Unternehmen ansieht und eine Entscheidung sucht, darf der Käufer mit dem Betrieb nichts tun. Bei der Hydro gab es auch einen kommissarischen Leiter. Wir sind daher für Aufträge und dergleichen nicht zur Verantwortung zu ziehen, weil wir in der Hydro-Sparte nie etwas zu sagen hatten.

Die Furche: Wie schnell entscheidet die EU-Kommission? Kämpft man da mit sehr viel Bürokratie?

Ederer: Das sind doch Vorurteile. Die EU-Bürokratie ist viel kleiner als so manche nationale Administration. Die Zeit ist bei einem Unternehmenskauf sicher ein Thema. Bei uns dauerte es ein halbes Jahr bis zur Entscheidung der Kommission. Das alte Management führte das Unternehmen weiter und war den Gesetzen und den Aktionären verpflichtet.

Die Furche: Die EU-Bürokratie ist also viel kleiner als man vermutet?

Ederer: Hören Sie auf mit den Vorurteilen, wie "die EU ist ein Moloch mit viel Bürokratie". Man kann ja sagen, es ist uns egal, ob es eine Marktkonzentration gibt, oder nicht. Aber wenn man will, dass der Wettbewerb gesichert ist, dann braucht man Strukturen, die das prüfen, und die können nicht national sein. So eine Prüfung kann nicht innerhalb von zwei Wochen abgeschlossen sein, da geht es ja um Unternehmensentscheidungen, die Menschen betreffen. Man kann schon sagen, man will derartige Prüfungen nicht, aber was ist die Alternative? Dann kaufen zehn große Konzerne alles auf und dominieren den Markt. Die EU schaut den Konzernen ein wenig auf die Finger, und das ist schon gut so.

Die Furche: Welche Verantwortung hat ein Konzern in punkto Gesellschaft und Umwelt?

Ederer: Jedes Unternehmen hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Wir engagieren uns im kulturellen Bereich. Das ist eine Entscheidung, die mein Vorgänger getroffen hat und zu der ich stehe. Wir sind uns der Vorbildwirkung bewusst, die wir gegenüber den Mitarbeitern, der Gesellschaft und anderen Unternehmen haben.

Die Furche: Wie wird die neue Bundesregierung aussehen?

Ederer: Ich bin ja keine Weissagerin. Wäre ich das, würde ich im Fernsehen auftreten. Ich kann Ihnen allerdings sagen, dass ich mir eine Große Koalition wünsche.

Die Furche: Wie kommt man als Frau an die Spitze eines großen Unternehmens, und wie ist die Luft da oben?

Ederer: Die obligatorische Antwort ist, dass es sehr viel mit Zufall zu tun hat. Man muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Sicher spielen Engagement und Disziplin eine wichtige Rolle, aber das allein ist es nicht. Wenn Ihnen jemand erzählt, er sei allein auf Grund seines Könnens an die Unternehmensspitze gekommen, dem gratuliere ich. Dem dürfen auch Sie in meinem Namen gratulieren. Aber er erzählt Ihnen nicht ganz die Wahrheit, denn es hat auch mit dem Zufall und vielen Sachen, die man nicht beeinflussen kann, zu tun.

Die Furche: Frauen haben es aber doch noch ein wenig schwerer?

Ederer: Bei Frauen gibt es noch immer diese gläserne Decke, die mit Kindererziehung und der Entscheidung für Kinder zu tun hat. Da müsste sich unsere Gesellschaft etwas überlegen, ob man nach einer 2000-jährigen Periode andere Maßnahmen setzt. Ich habe keine Kinder, das ist der Preis für meine Karriere, und das empfinde ich auch so. Letztlich glaube ich aber, dass ich heute in meiner Position nicht anders behandelt werde als ein Mann. Man hat Entscheidungen zu treffen und eine gewisse Einsamkeit zur Kenntnis zu nehmen, gleich ob man ein Mann oder eine Frau ist.

Das Gespräch führte Thomas Meickl.

Die Macht, Dinge zu gestalten

Brigitte Ederer steht einem Industrieunternehmen vor, das seit 1879 in Österreich vertreten ist. Der deutsche Siemens Konzern mit Hauptsitzen in Berlin und München kommt von der elektrischen Versorgung und der Medizintechnik. Ederer beschreibt ihre Konzern-Mutter, die sich seit den Anfängen vor 159 Jahren zu einem weltweit agierenden, Großunternehmen entwickelt hat, als Infrastruktur-und Technologie-Konzern mit Medizintechnik und IT-Schwerpunkten. Die ehemalige Politikerin gilt als absoluter EU-Fan, sie leitete als Staatssekretärin für Integration und Entwicklungszusammenarbeit im Bundeskanzleramt von 1992 bis 1994 die innerösterreichische Koordinierung der Beitrittsverhandlungen und war von 1994 bis 1995 Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten. Sie war mehr als zehn Jahre Abgeordnete zum Österreichischen Nationalrat und von 1995 bis 1997 Bundesgeschäftsführerin der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Geht ihr die Politik ab? "Ich war 17 Jahre in der Politik und möchte nur einige Tage missen, aber sonst nichts, doch dieses Kapitel ist abgeschlossen." Auf die Frage, ob sie als Vorsitzende des Vorstandes der Siemens AG Österreich eine große und mächtige Frau sei, verweist sie auf ihre durchschnittliche Körpergröße - für eine österreichische Frau, und gibt zu bedenken: Wenn Macht die Möglichkeit ist, Dinge zu gestalten, dann sei sie in eingeschränktem Maße eine mächtige Frau, die die Verantwortung spüre, die diese Position mit sich bringt.

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