7 Todsünden-Kunsthalle Krems - © © Kunstmeile Krems, Foto: eSeL

"7 Todsünden": Glassplitter mit Messerwächtern

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Die Kunsthalle Krems widmet sich den sieben Todsünden anhand aktueller Kommentare sowohl aus der Bildenden Kunst als auch der Literatur.

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Die Kunsthalle Krems widmet sich den sieben Todsünden anhand aktueller Kommentare sowohl aus der Bildenden Kunst als auch der Literatur.

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Stolz, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit – die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle Krems hat eine Reihe internationaler und österreichischer Künstlerinnen und Künstler sowie Autorinnen und Autoren gebeten, die sieben Todsünden mittels aktueller Kommentare zu thematisieren. Die Beiträge setzen sich überkonfessionell und mit viel Verve mit den essenziellen und aktuell gesellschaftsrelevanten Themen zu dem großen Überbegriff der „Todsünden“ auseinander.

Für Kurator Andreas Hoffer regt das Thema „zum Nachdenken über den Umgang mit moralischen Setzungen an und wie wir sie für uns interpretieren“, er findet die einzelnen Interpretationen allesamt extrem spannend, denn „die Ausstellung bietet sinnliche Erlebnisse voller Diversität, verhandelt aber auch den moralischen Kanon als Impuls, über die eigene Haltung zu reflektieren“.

Bündel an Blickwinkeln

Hoffer überließ es den Künstlern, ganz frei und assoziativ an das Thema heranzugehen, sie konnten sich auch jene Todsünden für die Be- oder Erarbeitung aussuchen, die entweder bereits mit ihren künstlerischen Arbeiten korrespondierten oder die sie im Speziellen interessierten.

In der Ausstellung selbst fehlen übrigens jegliche kuratorischen Texte – hier haben nur die Künstler das Wort, mit einem kleinen erklärenden Text zur jeweiligen Arbeit respektive den Arbeiten. Nur der Film „Sieben Frauen– Sieben Sünden“ von Ulrike Ottinger über den Stolz (1986) wurde von Hoffer explizit als historischer Beitrag ausgesucht. Ottinger zählt seit den 1970er Jahren zu den bedeutendsten künstlerischen Filmemacherinnen Deutschlands. Ihre meist sehr opulenten Arbeiten zählen zur internationalen ­feministischen Avantgarde.

Eine sehr barocke Ästhetik findet man bei Julia Belova, die diese Epoche mit queer-feministischen Ansätzen komplett neu definiert; sie kombiniert das statische Material Porzellan mit dem schmelzenden Material Wachs, wodurch die Skulpturen einen performativen Charakter haben.

Dämonischer Völlerei widmet sich die starke Videoarbeit „How to Slay a Demon“ von Hans Berg und Nathalie Djurberg, während sich Jonathan Meese malerisch mit dem Zorn auseinandersetzt und das Thema in üppig überfrachteten Bildwelten zelebriert. Aber auch Christa Biedermann, Ádám Dallos, Rob Frogoso, Èv van Hettmer, Herta Müller oder Dan Perjovschi zeigen mit ihren Beiträgen die ganze Diversitätdes Themas.

Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles, die in Krems keine Unbekannte ist, zeigt eine zutiefst bedrückende zweiteilige Arbeit. Eine glitzernde Haute-Couture-Robe, perfekt in einem dunklen Raum präsentiert, die Luft mit dem süß-schweren Parfum „Good Girl“ geschwängert. In kapitalistisch orientierten Lebenswelten werden so Begehrlichkeiten geweckt, die in Margolles Heimat Mexiko für viele Frauen die ultimative Katastrophe bedeuten. Ein Ärmel des Kleides ist nicht mit Strass, sondern mit Autoglassplittern bestickt und macht aus dem scheinbaren Luxusobjekt ein „Mahnmal für pervertierte Macht und Brutalität“. Die Glassplitter stammen von einer fehlgeschlagenen Operation der mexikanischen Nationalgarde, bei der Menschen erschossen wurden. Und als „Wächter“ für dieses Kleid fungieren zwei rudimentäre Messer in mit Samt ausgeschlagenen Metallboxen, die von Häftlingen aus Löffeln gearbeitet wurden, um sich vor der Gewalt von Wachpersonal und Mithäftlingen schützen zu können. Habgier und Neid– gepaart mit dem Zorn der Künstlerin auf diese gesellschaftlichen Zustände.

Für Augʼ und Ohr

Der absolute Kontrast dazu sind die Arbeiten von Nedko Solakov, einem der bedeutendsten bulgarischen Künstler der Gegenwart. Er hat sich gleich allen sieben Todsünden gewidmet. Neben einer riesigen Arbeit, „Sinners“ (Öl/Leinwand), bestechen seine minimalistischen Zeichnungen auf dickem Büttenpapier ‒ „Seven Deadly Sins from a Distance“. Winzige, fast lapidar hingekritzelte Figürchen sind jeweils von einem handgeschriebenen Kommentar am unteren Bildrand begleitet, der mit subtilem Witz, oft zweideutig und immer tiefgründig, eine zusätzliche Bedeutungsebene einzieht. Solakov ist übrigens ab Ende November mit einer künstlerischen Intervention in der Museumsgarderobe des Belvedere zu sehen.

Literarisch setzen sich Juri Andruchowytsch, Noémi Kiss, Ana Marwan, Verena Stauffer, Michael Stavarič, Katharina Tiwald und Alexander Urosevic mit den sieben Todsünden auseinander. Ihre Beiträge demonstrieren die prinzipielle Kraft der Sprache ‒ und um sie noch eindrücklicher wirken zu lassen, sind die Texte – von den jeweiligen Autoren gelesen - als Audiobeiträge zu hören.

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