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Ein „Profi-Patient"

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Jeder Maturant kann (noch) Medizin studieren. Ich nicht. Jeder, der Medizin studiert, kann Arzt werden. Ich nicht. Jeder Arzt kann Unsummen verdienen. I,ch nicht. Kein vielverdienender Primar hat den Gesamtuberblick. Ich schon! Ich bin namlich ein behbrdlich kon-zessionierter „Patient der gesamten Heilkunde". Nur promovieren muBte ich in einem anderen Fach.

Als Liebkind meiner Krankenver-sicherung verbringe ich wbchentlich viele aufregende Stunden in alien nur mbglichen Ordinationswartezim-mern.

Am Anfang meiner Karriere als „Profi-Patient" hbrte ich gezwunge-nermaBen die Detail-Krankenge-schichten meiner Mitwartenden ge-duldig, wenn auch mit nachlassen-dem Interesse, an. Nachdem ich mir die die Mitpatienten betreffenden Anamnesen (merken Sie mein para-medizinisches Fachwissen?) anhoren muBte, rastete ich erst aus, als meine Mitwartenden ausfiihrlich nicht nur iiber die eige-nen, sondern auch iiber die Krankheiten ihrer Familien und Freunde zu berichten begannen.

Mit dem „Ausra-sten" gehe ich trotz-dem etwas vorsichtig um. Obwohl ich als mehr oder weniger „erwachsener" Mann bereits auch Patient von Kinder- und Frau-enarzt war, hatte ich das etwas zweifelhafte Gliick, die Hilfe eines Psychiaters in An-spruch nehmen zu mussen, bisher noch nicht gehabt. So bemiihe ich mich, we-der „auszurasten", noch sonstwie unange-nehm aufzufallen.

Irgendwie muB ich jedoch auf die unzahli

gen entziindeten Gallenblasen, Man-deln und Gelenke reagieren. So be-gann ich schlicht und einfach „vorzu-ordinieren". Natiirlich gratis, ganz-lich ohne Honorar, und auch die mir angebotenen Krankenscheine (von gesunden Scheinen ganz zu schwei-gen) wies ich entschieden zuriick.

Bereits nach kurzer Zeit gelang es mir, meine Mitpatienten grundle-gend zu verunsichern und sie mit einem Schein- und Viertelwissen in die Ordinationszimmer zu entlassen.

Meine Rechnungen - im Gegen-satz zu denen meiner behandelnden Arzte - gingen auf: Immer seltener muBte ich in den Ordinationswarte-zimmern die grafilichsten Amputations- und Operationsgeschichten anhoren, dafiir war ich gezwungen, wbchentlich die Arzte zu wechseln, die von meiner „Vorordination" nicht sonderlich entziickt waren.

Mir aber gelang es, den uniiber-reichten Titel eines „Profi-Patien-ten" symbolisch zu ergattern und ich ging langsam, aber unaufhaltsam in die Geschichte der Wiener und Lin-

zer Medizin als „Patient der gesamten Heilkunde" ein. Da ich mit meinen Arzten ein Stillhalteabkommen ge-schlossen habe - ich hbrte „vorzuor-dinieren" auf und sie attestierten mir immer neue Placebo-,,Krankheiten" - darf ich weiter und vollig ungestbrt die Ordination aufsuchen. Natiirlich konsumiere ich die mir verschriebe-nen Medikamente nach dem Prinzip: „Der Arzt will leben, der Apotheker will lieben, aber ich auch nicht, sondern gebe sie postwendend in einer — anderen - Apotheke ab.

Als - hoffentlich - gesunder „Pa-tient der gesamten Heilkunde" fre-quentiere ich ausschlieBlich die (sich bei meinem Anblick verzweifelt) nie-dergelassenen Arzte und meide wie die Pest Krankenhauser, die - wie schon der Name sagt - ausschlieBlich „Kranke" produzieren.

Seien Sie mir, liebe Furche-Leser, nicht bbse, ich muB fiir heute schlieBen, da ich in einigen Minuten meinen nachsten Arzt-Termin habe.

Ich wiinsche Ihnen - und Sie mir weiterhin „gute Gesundheit".

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