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Analysen des Nazi-Systems
Sechs Mitglieder der Frankfurter Schule der Soziologie verfaßten in der Emigration in New York in den Jahren 1941/42 in einem kürzlich in deutscher Ubersetzung erschienenen Sammelband neun Abhandlungen über den deutschen Nationalsozialismus.
Friedrich Pollock, Franz L. Neumann, A. R. L. Gurland und Otto Kirchheimer liefern aufschlußreiche Einsichten über das Wirtschaftssystem, die gesellschaftliche Struktur und die Rechtsordnung des Nationalsozialismus.
Von besonderem Interesse sind die Hinweise auf erfolgreiche wirtschaftliche Maßnahmen in der Form von staatlichen Eingriffen, deren Durchführung von den kurzsichtigen demokratischen Politikern verabsäumt worden war. Vor allem Pollock zeigt, daß Sinnvolle staatliche Anleitungen und Regulierungen der autonomen Marktwirtschaft Krisen beheben können, ohne die Demokratie in Frage zu stellen.
Kirchheim zeigt, wie die von den Nationalsozialisten angestrebte Aufhebung der Trennung von Recht und Moral zum totalen Abbau von Recht und Gerechtigkeit geführt hat, wobei natürlich die Moral unterging. Gleichzeitig verdeckte das nationalsozialistische Ideal der „Volksgemeinschaft” die Verschärfung sozialer und politischer Konflikte, während die Leerformel vom „gesunden Volksempfinden” das Rechtswesen zur Gänze der Willkürherr-schaft unterwarf.
Die Beiträge von Max Horkheimer und Herbert Marcuse dagegen sagen nichts über den Nationalsozialismus aus. Statt dessen sehen sie den Nationalsozialismus, den sie als „Faschismus” identifizieren, als geschichtlich bedingte Entwicklungsphase des zusammenbrechenden Kapitalismus. Für sie waren die bürgerliche Demokratie wie auch der Faschismus einfach Instrumente der Klassenherrschaft.
Horkheimer hielt es so wie Marx und Lenin für möglich, daß eine zentral geplante und gesteuerte Wirtschaft ohne fachliche Ausbildung geleitet werden könne. Gleichzeitig reflektieren die Worte Horkheimers, die in den dreißiger Jahren unter Marxisten verbreitete Ansicht, daß der Faschismus die letzte Phase des Kapitalismus sei.
Jene Autoren, die in diesem Sammelband die konkreten gesellschaftlichen Entwicklungen in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes diagnostizieren, stehen im krassen Widerspruch zu den Autoren, welche versuchen den Nationalsozialismus als „Faschismus” in ein umfassendes geschichtliches Entwicklungsmodell einzuordnen.
In ihrer Gesamtheit bestätigen diese Beiträge jedoch die These, daß die Parlamentarische oder „bürgerliche” Demokratie nicht der Wirtschaftskrise als solche zum Opfer gefallen ist, sondern den antidemokratischen Ideologien, die als diesseitige Heilslehren im Schatten der Krise als Irrlichter strahlten. Pollock und Neumann weisen auf konstruktive wirtschaftliche Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes in seiner Anfangsphase hin, welche mit der Demokratie vereinbar gewesen wären.
Horkheimer und Marcuse dagegen, bewerten die verfassungsmäßige Demokratie als vorletzte Phase der bürgerlichen Klassenherrschaft, welche im „logischen Gang der Geschichte zum Faschismus” führen muß. Damit vertreten diese beiden Denker eine der apokalyptischen Ideologien, welche zur Lähmung der deutschen Demokratie in den Zwischenkriegsjahren beigetragen hat.
WIRTSCHAFT, RECHT UND STAAT IM NATIONALSOZIALISMUS. Analysen des Instituts für Sozialforschung 1939-1942. Hrsg. von Helmut Dubiel und Alfons Söllner. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt 1981. 320 Seiten, kart, öS 21230.
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