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Der Wille der Österreicher zur Nation

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Ist Österreich eine Nation? Gibt es die österreichische Identität? Oder handelt es sich vielmehr um Antiidentität? - Fragen zum Selbstverständnis unseres Landes, die von namhaften Wissenschaftlern im Symposion „Zur österreichischen Identität" aufgeworfen wurden.

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Ist Österreich eine Nation? Gibt es die österreichische Identität? Oder handelt es sich vielmehr um Antiidentität? - Fragen zum Selbstverständnis unseres Landes, die von namhaften Wissenschaftlern im Symposion „Zur österreichischen Identität" aufgeworfen wurden.

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„Die österreichische Identität steht auf schwachen Beinen, wenn man sie auf Staatsvertrag und Neutralität beschränkt." Felix Kreissler, Gründer des Centre d'Etudes et des Recher-ches Autrichiennes der Universität Rouen, bezeichnet Neutralität, Souveränität und Staatsvertrag als unverzichtbare Elemente. Die Identität Österreichs solle jedoch nicht ausschließlich auf diesen Dokumenten beruhen: „Würden wir ohne sie in ein schwarzes Loch der Weltgeschichte versinken?"

Kreissler untermauerte beim Symposion im Alten Wiener Rathaus seine Standpunkte anhand einiger Zeitungsberichte. Aus den „Salzburger Nachrichten" zitierte er einen Beitrag zum Thema „Deutscher Sprachimperialismus": „Nun gibt es viele, die sich Sorge um uns machen und meinen, Staatsvertrag und Neutralität seien die einzigen Beine, die dieses Österreich tragen. Schlage man das eine ab, hinke das Land, schlage man beide ab, werde Österreich zu einem Cul de Jatte, zu einem Krüppel. Dem ist aber nicht so."

Johann Marte, Autor des besagten Zeitungsartikels, verweist darauf, daß eine Nation weder durch eine Pseudo-rasse noch durch eine Sprache bestimmt werde, „sondern durch den Willen seiner Bürger, und der liegt in Österreich inzwischen bei über 80 Prozent, obwohl die Österreicher mit dem Begriff ,Nation' eigentlich noch nie viel anzufangen wußten".

Um die Grundpfeiler der österreichischen Identität zu illustrieren, berief sich Kreissler ebenfalls auf Marte in den „Salzburger Nachrichten". Die österreichische Nation existiere als Endsumme einer gemeinsamen Geschichte, als Schicksals- und Kulturgemeinschaft, in der die Sprache „keine entscheidende Rolle" spiele. Die Identität unseres Landes sei überdies „deutlich mitteleuropäisch geprägt". Was die Deutschen am Österreicher so charmant finden - so Marte - sei eben die spezifische Mischung zwischen Italienischem, Slawischem und Deutschem.

Das historische und noch mehr das kulturelle Bewußtsein habe den Österreicher nach dem Schock der NS-Zeit deutschen Annäherungsversuchen gegenüber immun gemacht. Zur Neutralität haben nach Ansicht des Autors viele Österreicher „fast eine emotionale Beziehung": Sie sei für uns mehr als „kein Militärbündnis eingehen". Bevor kein besserer Ersatz für sie da sei, gebe es keinen Grund, sie aufzugeben. Die Neutralität, ein wichtiges Element unseres Selbst Verständnisses, insbesondere gegenüber dem deutschen Nachbarn, stärke überdies „den Willen und die Überzeugung der Österreicher, eine Nation zu sein".

Wann wird Österreich obsolet?

Kreissler zitierte im Symposion auch Martes Verweis auf den Obmann der Freiheitlichen Partei: „Ausgerechnet Jörg Haider bangt im Zusammenhang mit der EG um die Identität Österreichs." Kreissler selbst sieht diese „sehr in Gefahr". Haider bediene sich des Wortes, als wäre es Falschgeld- „dieser Mißbrauch macht mich mißtrauisch", so Kreissler. Zur „Antiidentitäfmeinte er, daß einige „Pflichterfüller" nie begreifen und jederzeit bereit sein würden, die eigene Nation aufzugeben.

Österreich befinde sich - wie andere Nationen auch - an einer Wegkreuzung. Die „schicksalsschwere Frage" sei nur, ob Österreich eines Tages seine „Konstitutiva" Staatsvertrag und Neutralität aufgeben, für obsolet erklären wird. Kreissler: „Wenn ja, muß man sich fragen, ob nicht Österreich im Jahr 2000obsolet sein wird." Aber: „Gott sei Dank ist es noch nicht so weit."

Der Grazer Historiker Moritz Csä-ky verwies im Symposion ebenfalls auf „typisch Österreichisches". Die Yerschiedenartigkeit sei es, die das Österreichische ausmache. Der im 19. Jahrhundert gebildeten Ideologie einer „Einheit" aufgrund einer gemeinsamen Sprache widersprechen nach Ansicht Csäkys alle historischen Tatsachen.

Unsere Vergangenheit ähnle mehr einem farbenprächtigen Bild von Kokoschka, in dem die Farben nicht neben-, sondern durcheinander gepinselt seien. Diese „Vielfarbeinflüs-se" versuchte man im Laufe der Zeit durch Ideologien zu trennen. Die Einheit des Volkstums, wie sie im Dritten Reich beschworen wurde, „ist ein Mythos", so der Historiker.

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