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Welche Identität hat Osterreich?

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Wodurch ist Österreich eine Nation? Kontroversielle Antworten auf diese Frage gab das vom ORF veranstaltete 19. Salzburger Humanismusgespräch.

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Wodurch ist Österreich eine Nation? Kontroversielle Antworten auf diese Frage gab das vom ORF veranstaltete 19. Salzburger Humanismusgespräch.

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Kann man sich heutzutage einen österreichischen Intellektuellen vorstellen, der ein umfangreiches Buch über Österreich mit dem Satz einleitet: Ich liebe Österreich. Wohl kaum. Ebenso aber beginnt 1986 der große Historiker Fernand Braudel sein Buch über die Identität Frankreichs.” So leitete der Salzburger Historiker Ernst Hanisch sein Referat über „Selbsthaß als Teil der österreichischen Identität” ein. Mit Friedrich Heer verfolgte er den goldenen Mythos der Österreich-Verklärung und den schwarzen Mythos der Österreich-Beschimpfung von der Habsburgermonarchie bis in die Gegenwart. Hanisch ist gegen die pauschale Opfer- wie gegen die pauschale Tätertheorie und griff die vereinfachende Sicht von Schriftstellern wie Robert Menasse, Josef Haslinger,

Robert Fleck und Gerhard Roth an. In einem war man einig: Als Nation ist Österreich erst 1945 entstanden; der Nationsbildungsprozeß ist viel später und anders vor sich gegangen als etwa in Frankreich oder Deutschland.

Der deutsche Historiker Hans Mommsen lokalisierte seinen Beginn in der Entscheidung des österreichischen Widerstandes, für einen eigenen Staat und nicht mit dem deutschen Widerstand zu kämpfen. Die Identität freilich hat tiefere Wurzeln: „Das multinationale Habsburgerreich schuf besonders komplizierte, plurale Identitätsbilder”, stellte Hanisch fest. Der Prozeß ab 1945 hat diese Pluralität reduziert. Der problematische Österreich-Patriotismus der Nachkriegszeit diente der Abgrenzung vom Deutschen und der Verdrängung der Schuld am Nationalsozialismus. Heute beutet Jörg Haider die provinzielle „Mir-san-mir”-Men-talität aus, um Aversionen gegen das scheinbar Fremde zu erzeugen.

Der Rückgriff auf österreichische Kultur ist für Mommsen problematisch, denn diese war entweder transnational oder deutschnational. Für ihn gehört Maria Theresia zwar nach Wien, aber zur deutschen Kultur, und die Besonderheiten des Josephinismus sieht er als relativ unbedeutend gegenüber den Gemeinsamkeiten der europäischen Aufklärung. Auch der Germanist AValter Weiß will kein ahistorisches österreichisches Wesen bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen, besteht aber auf historischen und politischen Zusammenhängen, die Grillparzer oder Musil wie auch die Autoren der Gegenwart von deutschen Zeitgenossen unterscheiden.

Aber was ist überhaupt Identität und wie entsteht sie? Zu dieser komplexen Frage war der Psychoanalytiker Arno Gruen geladen. Eine seiner Grundaussagen: Identität entsteht gerade nicht durch Identifikation mit Bollen oder Symbolen; wäre dies so, müßten wir Nationalismus als Ausdruck einer Identitätsfindung akzeptieren. Für Gruen ist er eine Ersatz-Identität, die eine innere Leere füllen soll. Am stärksten sieht er die Demokratie durch Menschen bedroht, deren Ungeliebtsein Quelle eines Hasses ist, der sich gegen andere, im Grunde aber gegen sich selbst richtet.

Als Ausweg wurde auch das Konzept der „Staatsbürgernation” (Rainer Lepsius) und des „Verfassungspatriotismus” (Jürgen Habermas) debattiert; die Betonung staatsbürgerlicher Rechte, von Gleichheit, Partizipation, drängt volksnationale und kulturnationale Traditionen zurück.

Für den aus Wien stammenden und durch Emigration in Frankreich heimisch gewordenen Historiker Felix Kreissler sind die Gegensätze und Zweigleisigkeiten der Österreich-sichen Geschichte Ausdruck subversiven Widerstandes, aber immer auch Quelle von Gefährdungen; Selbsthaß stand schließlich auch hinter dem Anschlußwunsch an Deutschland. Aber daß manche Hitler zum Deutschen und Beethoven zum Österreicher erklären, findet Kreissler nicht einmal so schlimm, denn Hitler wollte selbst der Führer aller Deutschen sein, und Beethoven fand in Österreich seine Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten. Es kommt eben nicht auf den Geburtsort an, sondern auf die Art des Lebens und Wirkens.

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