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Der Historiker als Kommentator
Mit vielen gescheiten Sätzen regt der Kölner Historiker Peter Berglar in einem unlängst erschienenen Buch zum Nachdenken an. Einige seiner Thesen freilich erscheinen auch höchst bedenklich.
Mit vielen gescheiten Sätzen regt der Kölner Historiker Peter Berglar in einem unlängst erschienenen Buch zum Nachdenken an. Einige seiner Thesen freilich erscheinen auch höchst bedenklich.
„... In der wiedererstandenen Republik Österreich hat sich zweifellos während der letzten dreißig Jahre das eigenständige politisch-nationale Identitätsbewußtsein, um das bei den Deutschösterreichern so lange, so hart, ja tragisch gerungen wurde, und das zu Zeiten der Ersten Republik sozusagen taumelig und seiner selbst nicht gewiß gewesen ist, verfestigt. Es ist nunmehr vorhanden, und ich vermute: stabil...
Daß solche Identitätserneuerung gelingen konnte — nicht rein als Folge einer militärischen Niederlage, obwohl diese natürlich auslösend mitwirkte, sondern als freiwillige Selbstabnabelung vom groß- und gesamtdeutschen .Corpus', dem eigentlich immer etwas Illusionäres und Disparates anhaftete —, daß also eine Nation Österreich entstand, ist ex post der Beweis für die fortwirkende Kraft des im Grunde ungebrochenen Bewußtseins, geschichtlicher Miterbe des einstigen Habsburgerreiches zu sein und bleiben zu wollen.
Oder anders gesagt: In Österreich haben Bewußtsein und Gefühl, in der Kontinuität des Vielvölkerstaates von über vier Jahrhunderten und gerade auch in der nach 1866 zu stehen, den Sieg davongetragen über das Bewußtsein und Gefühl, ein deutscher Stamm, ein deutsches Land unter anderen und nichts weiter und schicksalhaft unter das eine gemeinsame deutsche, genauer: .kleindeut-sche' Dach verwiesen zu sein. Das unterscheidet Österreich von Bayern oder Hessen oder Sachsen..."
Solche und ähnliche gescheite Sätze enthält das Buch des Kölner Historikers Peter Berglar „Geschichte als Tradition—Geschichte als Fortschritt".
Der Sammelband von Aufsätzen Berglars schlägt einen großen Bogen über ein Werk, dessen Interesse Wilhelm Humboldt, Thomas Morus, Metternich, Adam Müller, aber auch theoretischen Fragen der Geschichtswissenschaft gilt. Und immer wieder zentral: Deutschland, die historischen Ursachen gegenwärtiger Probleme.
Hier wird der Historiker zuweilen auch zum zeitgenössischen Kommentator, der die Erklärungsfähigkeit der Geschichte immer wieder für die Analyse der Gegenwart heranzieht.
Es regt zum Nachdenken an, wenn Berglar gewisse „nationale" Eigenheiten „der" Deutschen (wie problematisch freilich solche Verallgemeinerungen auch sein mögen) gerade aus dem „christlichen" Erbe, aus der Trägerrolle der alten deutschen Nation für das universal gedachte Heilige Reich, aus dem Scheitern des universalen Anspruchs und aus der gerade im ehedem universal christlich konzipierten Reich zu dauerhafter Spaltung und zu dauerndem Nebeneinander von zwei und drei christlichen Gemeinschaften erwachsenden Reformationsbewegung erklärt.
So das Streben nach umfassenden Denk- und Erklärungsmodellen, das ja von liberalen Skeptikern sowohl dem „rechten" wie dem „linken" Idealismus seit Hegel immer wieder vorgeworfen wird. Und das Streben nach besonderer Perfektion in der Durchführung von zunächst auf dem grünen Tisch vorgeplanten Ideen — vermutlich als Kompensation für die auf Reichsebene nicht mögliche Staatsbildung, wobei deren Undurchführbarkeit wieder mit dem seit 1648 endgültig feststehenden Verlust der religiösen Einheit in Zusammenhang gebracht wird.
Und das könne, so Berglar mit Verweis besonders auf Polen, vor allem das relativ laue Streben nach (Wieder?-)Herstellung der verlorenen nationalen Einheit nach 1945 wenigstens miterklären.
Obgleich nun die hier gebotenen Erklärungsansätze andere.
vielleicht etwas trivialere, aber beim Mißlingen der Staatsbildung auf Reichsebene im Spätmittelalter ebenso wirksame Faktoren wie die Größe des Reichsgebietes, die Schwierigkeit von Kommunikation, den raschen Wechsel der Herrscherhäuser zwischen Staufern und Habsbur-gern usw. außer acht lassen, haben sie doch wohl einen bestimmten Erklärungswert.
Wenn der christlich-konservative Historiker aber zum Politiker wird, zum politischen Mediziner (Berglar ist auch Arzt), dann verschreibt er der deutschen Nation zuweilen doch Bedenkliches:
„Die .Deutschheit' der Deutschen muß erhalten bleiben — und damit meine ich: ethnisch, biologisch ..." (S. 45)
Hier widerspricht der Mediziner dem Historiker, der es ja (siehe oben - Österreich!) sehr gut verstanden hat, Entstehung und Entwicklung nationaler Identität historisch, also gesellschaftlich zu erklären: Wenn eine Nation durch gesellschaftlich-politische Prozesse entsteht, wenn also historische Gemeinschaft und nicht „Blutsverwandtschaft" (auch diese muß leider, S. 68, in diesem
Zusammenhang für die Begründung von nationaler Identität herhalten) das Entscheidende ist, dann ist das Rezept einer „biologischen" Reinhaltung der Nation historisch unbegründbar und politisch sinnlos, ja, führt zweifellos in eine gefährliche Richtung.
Überdies muß wohl der Forderung, es dürfe gerade aus solchen Bindungen heraus „kein Österreicher gleichgültig auf das Schicksal Berlins blicken" (S. 68), widersprochen werden:
Sicher ist Berlin ein besonders neuralgischer Punkt europäischer Zeitgeschichte, aber von Wien aus wird man mindestens genausowenig gleichgültig nach Budapest und Triest, Krakau, Laibach und Bozen blicken wie nach Berlin.
Obendrein gerät der Katholik Berglar mit derlei Biologismen in Gefahr, für die Ideologie eines neuen, durchaus nicht genuin christlichen Biologismus, ja Rassismus, vermutlich höchst ungewollt zum zitierbaren Vorreiter zu werden.
GESCHICHTE ALS TRADITION - GESCHICHTE ALS FORTSCHRITT. Von Peter Berglar. Verlag Styria, Graz - Köln - Wien 1984. 274 Seiten, kart.. öS 290,-.
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