Land unter in Kurdistan

Werbung
Werbung
Werbung

Acht Staudämme in der Türkei könnten die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung von Tunceli notwendig machen.

Schon der Name verheißt nichts Gutes: Tunceli, eiserne Faust, lautet die offizielle - türkische - Bezeichnung der bergigen Kurdenregion am Fluss Munzur im Südosten der Türkei. Die Kurden selbst, die mehr als 95 Prozent der Bevölkerung in der Provinz ausmachen, kennen ihre Heimat unter einem romantischeren Namen: Dersim, silbernes Tor.

Aber die eiserne Faust der Regierung scheint die Kurden in der Region nun einzuholen. Nicht zum ersten Mal, diesmal jedoch mit einer anderen Methode: Acht Staudämme sind geplant, zwei davon stehen kurz vor der Fertigstellung. Werden die Pläne ausgeführt, werden einige tausend Menschen - Andres Lustgarten vom britischen "Kurdish Human Rights Project" spricht von bis zu 40.000 - ihre Heimat verlieren.

Die Kurdenfrage einst ...

Das damalige Dersim galt bis Mitte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts als letzte freie Hochburg der türkischen Kurden. Denn in den unzugänglichen Bergen waren die Bauerndörfer der Kontrolle des türkischen Heeres weitgehend entzogen. Schon damals fand in einen Militärbericht eine "Lösung" der Kurdenfrage in der umkämpften Provinz Eingang, an die sich die Kurden jetzt vermutlich erinnert fühlen: Für eine Auslöschung Dersims sollten die Täler überflutet werden, hieß es in dem Papier.

Ab 1936 wurde das Gebiet vom türkischen Militär attackiert. Kurdische Schulen wurden geschlossen, die Worte "Kurden" und "Kurdistan" verboten, aus dem "Silbernen Tor" wurde die "Eiserne Faust". Der erbitterte Widerstand gegen die Repressalien endete für bis zu 70.000 Kurden tödlich. Als 1984 der Guerillakrieg der kurdischen Arbeiterpartei PKK begann, wurde über weite Teile Südostanatoliens, darunter auch über Tunceli, der Ausnahmezustand verhängt, mit militärischer Bewachung, Ausgangssperren und Lebensmittelrationierungen. Erst Mitte des vorigen Jahres wurde der Ausnahmezustand aufgehoben.

... und jetzt

Zur Ruhe kommt die Provinz aber noch immer nicht. Denn die geplanten Staudämme, so Anders Lustgarten, würden einen Teil der Region unbewohnbar machen. Dörfer, Straßen und Ackerflächen würden überflutet, Städte vom Umland abgeschnitten werden. Zusätzlich wäre durch die künstlich entstehenden Seen die Selbstreinigungskraft des Flusses stark beeinträchtigt. Mangels Kläranlagen werden jedoch die Abwässer ungefiltert in den Munzur geleitet - ein optimaler Nährboden für gefährliche Krankheitserreger.

Bisher gebe es weder ernsthafte Entschädigungsangebote noch Umsiedlungspläne, Stellungnahmen von der betroffenen Bevölkerung seien nicht eingeholt worden. Lustgarten: "In der Region wurde uns erzählt, dass Dorfführer, die gegen die Dämme protestiert hatten, entführt und ermordet worden seien."

Dazu kommt, dass 42.000 Hektar in dem Gebiet in den siebziger Jahren zum größten Nationalpark der Türkei erklärt wurden. 43 Pflanzenarten existieren weltweit ausschließlich im Munzur-Nationalpark, für viele davon könnten die Dämme das endgültige Aussterben bedeuten. Dadurch widerspricht das Staudamm-Projekt auch dem türkischen Gesetz über Nationalparks, nach dem das ökologische Gleichgewicht in keinem Fall gestört werden dürfe. Jedes Vorhaben, das sich damit nicht vereinbaren lasse, ist demnach zu untersagen. Mit dem Projekt bricht die Regierung also ihre eigenen Gesetze.

Wirtschaftlich sinnlos

Die jährliche Erzeugung von 362 Megawatt Strom als offiziellen Grund für die Errichtung der Dämme lässt Lustgarten nicht gelten: "Das sind gerade einmal 0,97 Prozent des Energiebedarfs der Türkei. Das ist im Vergleich zu den Folgen, die die Dämme hätten, absolut lächerlich."

Nach Informationen des European Rivers Network (ERN), einer europäischen Vereinigung zum Schutz von Flüssen, seien auch die beiden anderen angegebenen Gründe, Bewässerung und Hochwasserschutz, an den Haaren herbei gezogen: Die Niederschlagsmenge in der Region sei ausreichend, eine zusätzliche Bewässerung somit unnötig. Und obwohl der Wasserstand in Tunceli im April und Mai steige, seien Siedlungen und Menschen dadurch nicht gefährdet.

Für das gesamte Projekt werden Kosten in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar (rund 1,85 Milliarden Euro) veranschlagt. Neben zwei türkischen Betrieben beteiligen sich nach Aussage Lustgartens, der zu Recherchezwecken im November des Vorjahres in Tunceli war, auch die US-Firma Stone Webster und die österreichischen Unternehmen Strabag sowie VA Tech an dem Projekt. Das hätten Gespräche mit Dorfführern und Bürgermeistern ergeben, zudem seien auch Hinweisschilder der beiden Unternehmen vor Ort zu sehen gewesen.

Was die Strabag bis Redaktionsschluss weder bestätigen noch dementieren wollte. Um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen Lustgartens gebeten, meinte Vorstand Manfred Rosenauer: "Die Furche sollte lieber der türkischen Regierung einen Vorwurf machen als uns. Wir sagen nichts zu negativen Artikeln."

Gesprächiger zeigte sich dagegen die VA Tech. Unternehmenssprecher Wolfgang Schwaiger bestätigte das Engagement in Tunceli. Allerdings: "Es gibt noch keinen Vertrag über eine Beteiligung an dem Wasserkraft-Projekt. Wir haben erst einen kleinen Auftrag in der Höhe von etwa einer Million Euro für eine Vorstudie." Grundsätzlich, erklärte Schwaiger, lege das Unternehmen großen Wert auf Nachhaltigkeit. Daher würden bei der Entscheidung, ob sich die VA Tech an dem Staudamm-Projekt als Lieferant beteiligen wird, neben wirtschaftlichen auch ökologische Kriterien in Betracht gezogen.

Dicke Autos, tote Frösche

Trotzdem halte er nichts davon, "dass wir mit unseren dicken Autos und unserer funktionierenden Energieversorgung den Entwicklungsländer sagen: Das dürft ihr nicht machen, da sterben ein paar Frösche.' Da maßen wir uns schon viel an." Das Ergebnis solcher Einwände wäre, dass statt der VA Tech andere Unternehmen die geforderten Produkte liefern würden, so der Sprecher. Befragt nach der Problematik der notwendigen Bevölkerungsumsiedlung, meinte er, die VA Tech verlange auf jeden Fall detailliert Umsiedlungspläne. Allerdings sei die Kurdenfrage ein "hochpolitisches Thema, da hat sicher niemand hunderprozentig Recht. Aus dieser Diskussion halten wir uns heraus."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung