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"Warum ich, warum gerade der Papst?" stöhnte Johannes Paul II., als man ihn nach dem Attentat in die Klinik einlieferte.

Rom, 13. Mai 1981, 17.17 Uhr: Auf dem Petersplatz gleitet Papst Johannes Paul II. in einem offenen, weißen Jeep durch die Menge. Plötzlich fallen Schüsse, der Pontifex sinkt zusammen. Kurze Zeit später rast ein Ambulanzwagen durch Vatikanstadt, und trifft schon acht Minuten nach dem Attentat vor der Gemelli-Klinik ein. Dort, im modernsten römischen Spital katholischer Provenienz, kämpfen vier Chirurgen um das Leben des Papstes. Er hat drei Liter Blut verloren, sein Sekretär Stanislaw Dziwisz hat ihn mit den Sterbesakramenten versehen.

Hat Gott die Kugel gelenkt?

Die Operation dauert fünfeinhalb Stunden. Dass eine Kugel nur um Millimeter lebenswichtige Organe verfehlt hat, grenzt an ein Wunder. Johannes Paul II. hat später in einem Satz ausgedrückt, dass er sein Überleben als Werk der Vorsehung sieht: "Eine Hand hat die Pistole gehalten, eine andere die Kugel gelenkt."

Die Hand an der Pistole gehört einem 23-jährigen Türken: Ali Agca. Nach den Schüssen versucht er zu entkommen: Wenige Dutzend Meter weiter wartet ein Fluchtauto mit laufendem Motor. Agca hat auch eine Rauchbombe dabei, um Verwirrung zu stiften. Doch der Attentäter rechnet nicht mit der Nonne Letizia Giudici. "Du warst es, ich habe es wohl gesehen", schreit sie ihn an, klammert ihre Arme um Agca und hält ihn zurück. Schließlich müssen ihn Polizisten vor Lynchjustiz durch die aufgebrachte Menge schützen.

Ali Agca ist kein unbeschriebenes Blatt: 1979 hat er den Chefredakteur der liberalen türkischen Tageszeitung "Milliyet" erschossen, ist dafür zu lebenslanger Haft verurteilt worden, aber am 28. November 1979 aus dem Militärgefängnis Kartal Maltepe in Istanbul entkommen. Dort sitzt er seit Juni 2000 wieder, seit er auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes hin begnadigt und aus italienischer Haft entlassen worden ist. Bis 2010 muss er in der Türkei noch seine Strafe für den Journalisten-Mord abbüßen.

Neben Agca noch weitere Attentäter

Ein fanatischer Moslem wollte den Repräsentanten der Christenheit - das ist der Papst für Nichtchristen, mögen das nichtkatholischen Christen auch anders sehen - erschießen. Doch so einfach, wie es diese Erklärung erscheinen lässt, liegen die Dinge sicher nicht. Praktisch alles spricht dafür, dass Ali Agca - mit dem andere Attentäter auf dem Platz waren - nur ein Werkzeug war und selbst gar nicht alles über seine Hintermänner wusste. Über diese existieren nur Mutmaßungen, keine ließ sich beweisen. Auch nicht die lange vorherrschende Meinung, der bulgarische Geheimdienst im Auftrag des KGB stecke hinter dem Anschlag.

Valeska von Roques geht in ihrem Buch "Verschwörung gegen den Papst" (Blessing Verlag, München 2001), das alle Umstände des Attentates minuziös beschreibt, so weit, die Drahtzieher im Umfeld westlicher Geheimdienste beziehungsweise einer "vatikanischen Kamarilla" zu suchen. Ausschließen kann man eine solche gewagte Hypothese leider nicht.

Im Laufe der Geschichte sind etliche Päpste eines unnatürlichen Todes gestorben, noch im 20. Jahrhundert sorgten das plötzliche Ableben von Pius XI. (1939) und vor allem jenes von Johannes Paul I. (1978) für bis heute anhaltende Gerüchte. Mysteriöse Kriminalfälle blieben dem Vatikan in den letzten Jahrzehnten nicht fremd: Man erinnere sich nur an den Mord am Bankier Roberto Calvi (1982), das Verschwinden der Mädchen Emanuela Orlandi und Mirella Gregori (1983) oder den Mord am Kommandanten der Schweizergarde Alois Esterman (1999).

Ein Jahr später, das zweite Attentat

Für Johannes Paul II. ist es kein Zufall, dass er an einem 13. Mai - 1917 soll an diesem Tag Maria in Fatima Hirtenkindern erschienen sein - mit dem Leben davonkommt. Ein Jahr später, am 13. Mai 1982, als er in Fatima der Madonna für seine Rettung dankt, entgeht er einem zweiten Attentat, diesmal mit einem Dolch, den Juan Fernandez Krohn (oder Khron), ein Priester aus dem Umfeld des später ein Schisma auslösenden Erzbischofs Marcel Lefébvre, mit sich führt. Aus Karol Wojtyla wird dadurch ein noch intensiverer Marienverehrer.

Wie weit das Attentat den Papst aus Polen sonst verändert hat, ist umstritten. Vermutlich hat es den 1981 noch sehr jugendlich wirkenden Pontifex schneller körperlich abbauen lassen. Etliche Beobachter meinen, er habe danach nicht mehr das Vertrauen und die Offenheit seiner ersten Phase ausgestrahlt und sich stärker auf seine engsten polnischen Vertrauten gestützt. Nicht unverständlich, wenn er selbst Hintermänner des Anschlags im Vatikan vermutete. Ob sein weiterer Kirchenkurs wesentlich anders verlaufen wäre und ob man das Attentat vom 13. Mai 1981 je ganz klären wird, bleibt zweifelhaft. Auf Mithilfe von Ali Agca wird man dabei nicht bauen können: Bis heute gibt es von ihm bereits 19 verschiedene, teilweise direkt entgegengesetzte Versionen des Tathergangs.

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