Auch ein System muss human sein

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Immer öfter hören wir jetzt: Einige Geldhaie hätten uns die größte Finanzkrise der Welt samt Krise der Realwirtschaft beschert, das System des Kapitalismus bleibe davon unberührt – ja nicht vermiesen lassen! Es genüge, wenn der Staat uns mit ein paar hundert Milliarden herauspaukt, dann soll er gefälligst wieder verschwinden! Das erinnert ein bisschen an Entschuldigungen des Papstes wegen Fehlverhaltens „einzelner Christen“ in der Geschichte – am System liege das nicht! Wegen schwacher Menschen brauche man nicht gleich Strukturen zu ändern.

Aber wenn ein System zulässt, dass Millionen Menschen Hab und Gut oder Arbeitsplätze verlieren, weil Firmenwerte durch Börsensprünge innerhalb eines Jahres auf Null gesunken sind, muss sich auch das System, das solches zulässt, neu hinterfragen lassen. Und eine Kirche, deren Wege durch die Geschichte viel Blut säumt und deren heutige Infrastruktur durch teilweise selbst verschuldete Personalnot zerstört wird, muss auch das System immer wieder auf humane Brauchbarkeit untersuchen.

Von allen großen Religionen der Erde muss heute deutlich Selbstkritik eingefordert werden. In einem bemerkenswerten Vortrag in Wien hat dieser Tage der Ökumeniker Karl-Josef Kuschel dargelegt, dass Bibel und Koran in der Schöpfungsgeschichte insofern übereinstimmen, als beide den Menschen, der die Schöpfung regieren soll, als „Statthalter Gottes“ sehen (ein treffenderer Begriff als „Abbild“) – aber Juden und Christen den Statthalterauftrag allen Menschen zugestehen, der Islam jedoch allein den Muslimen. Sind die Gewaltakte fanatischer Islamisten nicht vielleicht doch mehr als nur ein Missverstehen des Begriffes „Dschihad“?

260 Millionen Christen in aller Welt müssen heute Verfolgung (keineswegs nur durch Islamisten) fürchten, lesen wir. Solche Verbrechen kann man nicht nur der Schwäche der menschlichen Natur anlasten. Auch Systemkritik ist nicht tabu.

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