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Torpedierte Grundwerte

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Moralische Grundwerte in der Politik sind ein brisantes Thema - sowohl in Österreich als auch in Großbritannien. Premierminister John Majors „back to basics" (Zurück zu den Grundwerten!) hat sich als ein politischer Bumerang entpuppt. Ein Kabinettsminister trat nach Enthüllungen eines Sex-Skandals zurück, ausführlich geschildert in den Boulevardzeitungen. Die Affäre hat’ praktisch die Familienpolitik von John Majors Konservativer Partei torpediert.

Jeder Pohtiker weiß, daß diese X-Ray-Taktik der Medien eine Realität ist und muß damit auch rechnen. Bundespräsident Klestil hat absichtlich einen amerikanisch geprägten Wahlkampf geführt -und der Erfolg ging auf sein Konto. Dazu gehörte auch ein Röntgenbild seines „Privatlebens".

Besonders nach Waldheim hätte man vorsichtiger sein sollen, um „Skandale" zu vermeiden. Für den außenstehenden Beobachter stellt sich die Frage, was ein österreichischer Bundespräsident tun muß, bevor er gezwungen ist, den Hut zu nehmen. In England sind häufig Junior Ministers wegen Affären zurückgetreten, die seit langem vorbei waren. Bei Bundespräsident Klestil trifft das nicht zu. Außerdem hat er nur unter Druck und spät gehandelt. Daher ist es fraglich, ob der „Bundespapa", dessen Bild in allen Amtsgebäuden und Schulen hängt, künftig als Vorbild dienen kann. Diese Frage wird auch von englischen Geistlichen gestellt, im Zusammenhang mit Thronfolger Prinz Charles, der als König auch Oberhaupt der Anglikanischen Kirche sein würde. Andere meinen, eine intakte Ehe sei keine Voraussetzung für den Monarchen.

In Fragen der Scheidung, Empfängnisverhütung und so weiter sind viele Leute, auch führende Katholiken, toleranter und liberaler geworden. Der Journalist Gerfried Sperl hat sogar von einer „Protestantisierung" der katholischen Kirche gesprochen. In England ist aber ein Gegentrend spürbar, weswegen man fast von einer „Katholisierung der Angli-kaner" sprechen könnte. Die Ursache dafür ist ein Wertevakuum in der Amtskirche und ein Glaub-vrärdigkeitsverlust.

Das Resultat ist zunehmende Orientierungslosigkeit und Ah-nungslosigkeit, gerade in einer Zeit, in der klare Antworten erforderlich sind. Nicht nur Politiker und Bischöfe sind herausgefordert, sondern auch die Medien sollten glaubwürdig sein. Im Fall Klestil wollen die Medien hier punkten, sie seien besser als in angelsäschsi-schen Ländern. Offenbar haben „es" fast alle gewußt, aber nichts darüber berichtet. Hätten sie sich in einem anderen Fall als dem des Bundespräsidenten auch eine so „noble’ Zurückhaltung auferlegt?

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