Auf ein Wort
Unsere Zeit tut sich schwer mit Vorbildern, heißt es. So falsch wird das wohl nicht sein. Woran es liegt: Am Zerfall von Ideologien und stabilen Orientierungen? Am grassierenden Hedonismus und Egoismus - jeder sein eigenes Vorbild? Am Ansturm von virtuellen Idolen für einen Tag? An einer Mediengesellschaft, die mehr Argwohn nährt als Grundvertrauen?
Kardinal König, …
"Er war die letzte unbestrittene Vorbildfigur in unserem Land", habe ich an jenem 27. März 2004 im Stephansdom gesagt, als wir uns von Kardinal König verabschiedet haben. Für sehr viele wird er es wohl bleiben - trotz jüngster Wortmeldungen, die ihm und seinen Bischofskollegen von damals die "Sünde" der Mutlosigkeit im Kampf gegen die "Pille" vorwerfen. Und ungeachtet jener, die möglichst allen Männern der Kirche eine Vorbildwirkung absprechen möchten. Königs Charismen bleiben legendär: Er war liebevoll und versöhnend, bescheiden und zuhörend, tiefgläubig und gütig.
Am Montag dieser Woche war dann viel Blitzlicht und respektvolle Zuneigung um einen, der auch das Zeug zum Vorbild hat - auf ganz anderen Feldern des Lebens und doch gar nicht so weit vom alten Kardinal entfernt: Alois Mock. Schwer gezeichnet von beispiellosem Einsatz, langer Krankheit - und von einem politischen "Marathonlauf zwischen Hosiannah und Crucifige" (© Wolfgang Schüssel). Dass sein Leben und Wirken erst jetzt in Buchform (Styria) festgehalten wurde, erscheint wie ein Beweis für unseren getrübten Blick auf beispielhafte Biografien: Auch er glaubwürdig und gläubig, politisch und menschlich hochanständig, verantwortungsbewusst und prinzipientreu.
Es war purer Zufall, dass die Feier für Alois Mock zugleich der letzte Auftritt für Ursula Plassnik als Außenministerin wurde. Dass hier eine rotweißrote Europäerin aus Leidenschaft den "Mr. Europa" von einst würdigen konnte und plötzlich spürbar wurde, wie sehr beide - bei aller Unterschiedlichkeit - manch rar gewordene Gaben teilten: Gestaltungswillen, Courage - und vor allem Unbeugsamkeit gegenüber massivstem Druck von außen.
Franz König, aber auch Alois Mock und Ursula Plassnik - drei Österreicher, die sich zumindest in einem Punkt ähneln: in ihrem Mut zum aufrechten Gang. Aber: Reicht das zum "Vorbild" klassischen Zuschnitts - vor allem für Jüngere?
… Mock und Plassnik
Vielleicht ist es die Schuld unserer Generation, dass wir die Heldengalerie unserer Vorbilder so elitär ausgewählt und so hoch gehängt haben: Mutter Teresa, Mahatma Gandhi, Nelson Mandela, Dalai Lama … Prompt sind sie uns ins Unerreichbare entschwebt - ohne Bezug zu den konkreten Bewährungsproben unseres Alltags.
Müssen unsere Vorbilder für heute wirklich rundum perfekt sein? Dürften sie in einer gebrechlichen Welt nicht auch gebrochene Lebensläufe haben: weniger Glanz, mehr Lebensnähe - Scheitern inklusive? "Wir fallen um und stehen auf, fallen um und stehen auf, fallen erneut um und stehen wieder auf", heißt es in der Tradition der Mönche. Hauptsache, Motivation und Beharrlichkeit stimmen. Kein so schlechtes Motto vielleicht, um wieder mehr Vorbilder zu entdecken.
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