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So polarisiert der neue Kirchenkars

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Für Paul M. Zulehner tragen den Konflikt in der Kirche eindeutig nicht unterschiedlich religiöse, sondern verschieden freiheitsbewußte Katholiken aus.

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Für Paul M. Zulehner tragen den Konflikt in der Kirche eindeutig nicht unterschiedlich religiöse, sondern verschieden freiheitsbewußte Katholiken aus.

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Es gibt seit einigen Jahren einen neuen Kurs in Österreichs katholischer Kirche, die Anhänger dieses Kurses unterscheiden sich von den übrigen Katholiken nicht in der Einstellung zu Glaubensfragen, sondern zu Freiheit und Autorität, und der Hauptrepräsentant des „neuen Kirchenkurses”, der St. Pöltener Diöze-sanbischof Kurt Krenn, besitzt immer weniger Anhänger. Das sind, kurz gefaßt, die wichtigsten Aussagen des Wiener Pastoraltheologen Paul M. Zulehner, die das jüngst erschienene „Österreichische Jahrbuch für Politik 1993” enthält.

In seinem dortigen Reitrag „Lager und Lagerbildung: Zu Entwicklungen in Österreichs katholischer Kirche” stellt Zulehner schon eingangs fest: „Die österreichische Kirchenleitung spricht nicht mehr mit einer einzigen Sprache.” Den Rücktritt von Rischof Johann Weber als Pressesprecher der Bischofskonferenz sieht er als Symptom dafür an, daß sich Lager in der Kirche gebildet haben, die bis auf die höchste Ebene reichen. Die Größe dieser Lager entnimmt Zulehner einer Studie, in welcher auch die Akzeptanz der Bischöfe erhoben wurde: „Die Ergebnisse ließen klar zwei Gruppen von Bischöfen ausmachen, wobei die zum Zeitpunkt der Untersuchung (1990) zuletzt ernannten Bischöfe eine gemeinsame Gruppe bildeten.” Sein Resümee: 8,10 Prozent befürworten den „neuen Kirchenkurs”, 38,77 Prozent lehnen ihn mehr oder weniger ab, und 53,13 Prozent ist er mehr oder minder gleichgültig.

Krenn-Anhang schrumpft

Die Gleichgültigkeit gegenüber dem „neuen Kirchenkurs”, zumindest gegenüber dessen Hauptrepräsentanten, Rischof Kurt Krenn, nimmt aber laut Zulehner ab: „Krenn polarisiert die österreichische RevÖlkerung.” Zulehners Daten zufolge stieg zwischen 1990 und 1992 der Anteil jener, die gegen eine Ernennung Krenns zum Erzbischof von Wien sind, von 30,7 auf 46,9 Prozent, der Anteil der Gleichgültigen sank im gleichen Zeitraum von 62,1 auf 48,6 Prozent, und sogar die Zahl der Krenn-Refürworter ging noch von 7,2 auf 4,4 Prozent zurück. Dabei beruht die Lagerbildung in der Kirche laut Zulehner nicht auf unterschiedlichen Positionen in Glaubensfragen: „Das, was sich also zur Zeit in Österreich abspielt ist kein Glaubenskrieg.”

Nicht ganz überzeugend wirkt in diesem Zusammenhang Zulehners Argumentation mit Weltkatechismus und Moralenzyklika: „Selbst die von der Moralenzyklika unmittelbar betroffenen Moraltheologen können sich klaglos in die Reihe der Verurteiler der in ihr abgelehnten Positionen einreihen. Und wer wollte gegen eine Katechismus-Zusammenfassung dessen, was zur überkommenen katechetischen Tradition gehhört, ernsthafte Redenken erheben wollen?”

Zulehner meint, die Unterschiede zwischen den Lagern seien im Kirchenbesuch und in der Religiosität nicht signifikant. Vielmehr gehe es um die Einstellung zu Freiheit und Autorität. Zulehner: „Eine durch Rischof Krenn repräsentierte (österreichische) Kirche wird von Frei-heitsflüchtern geschätzt, aber von Freiheitsliebhabern beargwöhnt werden. Das bedeutet aber auch, daß es um die neuen Rischöfe herum eine Kirche der Freiheitsflüchter gibt, bei denen nicht die Grundtugenden Liebe, Hoffnung und Glaube, sondern die Kategorien Gehorsam, Obrigkeit, Autorität in hohem Kurs stehen.”

Ein autoritärer neuer Kirchenkurs sei aber, so Zulehner, „als Retter der Wahrheit des Evangeliums” untauglich. Herzstück des Evangeliums sei die Liebe, und Liebe könne „wiederum ohne Freiheit nicht aufblühen”.

Der Wiener Pastoraltheologe schließt seinen kritischen Reitrag mit den Worten: „So ist es um des Evangeliums willen zu wünschen, daß die Nacht des neuen Kirchenkurses alsbald einem neuen Tag weicht. Das Morgengrauen ist in Sicht.”

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