6851341-1976_48_09.jpg
Digital In Arbeit

Immer war sie Vorreiter der innerkirchlichen Erneuerung

19451960198020002020

Als die „Vorhut der kirchlichen Entwicklung“ charakterisierte Paul Zulehner in einem Referat anläßlich seines 30jäh-rigen Bestehens das Katholische Jugendwerk (KJWÖ), da es in der jüngeren Geschichte immer wieder die markantesten Stationen und Entwicklungstendenzen innerhalb der Kirche um einige Jahre vorwegnahm und so zum Seismographen der Kirchengeschichte wurde. Seinen Vortrag bettete Zulehner in einen bemerkenswerten Abriß der politischen und kirchlichen Entwicklungen seit 1945.

19451960198020002020

Als die „Vorhut der kirchlichen Entwicklung“ charakterisierte Paul Zulehner in einem Referat anläßlich seines 30jäh-rigen Bestehens das Katholische Jugendwerk (KJWÖ), da es in der jüngeren Geschichte immer wieder die markantesten Stationen und Entwicklungstendenzen innerhalb der Kirche um einige Jahre vorwegnahm und so zum Seismographen der Kirchengeschichte wurde. Seinen Vortrag bettete Zulehner in einen bemerkenswerten Abriß der politischen und kirchlichen Entwicklungen seit 1945.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Zeitspanne von 1945 bis heute teilt Zulehner in Einklang mit der global-gesellschaftlichen Entwicklung in vier markante Phasen:

•Als Reaktion auf die Zeit des Dritten Reiches war in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine deutliche Aufschwungphase kirchlichen Lebens erkennbar. 1950 liegt die Kirchgangshäufigkeit bei 40 Prozent. Zulehner: „Es gab in diesen Jahren zum letzten Mal so etwas wie ein ungebrochenes Verhältnis der Österreicher zur katholischen Kirche. Eine quasi .christentümliche' gesellschaftliche Situation schien zu bestehen.“

•Die Staats Vertrags-Jahre bis zur Mitte der sechziger Jahre beschreibt Zulehner als die Jahre des erfolgreichen wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbaus, wobei das Sicherheitsbedürfnis der Menschen, das bisher eine der treibenden Kräfte für die Hinwendung zur Kirche war, „innerweltlich“ besser abgedeckt schien. Noch herrscht ein kulturpolitischer „Burgfriede“, wenngleich sich in der Kirchen-Verbundenheit der Katholiken erste Ermüdungserscheinungen abzeichnen.

•Als „Durchbruch zum Pluralismus“ qualifiziert Zulehner schließlich die Phase der wirtschaftlichen Prosperität von 1965 bis zum 1973 einsetzenden „ölschock“. Statt des in den Nachkriegsjahren primären Sicherheitsbedürfnisses zählt nun fast ausschließlich eine neue Fortschrittseuphorie. Die „Theologie der Welt“allem das II. Vatikanische Konzil mit seinem Anliegen des „aggiornamen-to“, deutet Zulehner als typische Kinder dieser Phase „der Weltzuwendung und Fortschrittseuphorie“. Manches gerät geistig, politisch und religiös in Bewegung, der Kirchgang sinkt auf 30 Prozent ab.'

• Nach der „Ölkrise“ stellt sich ein Kollaps der Fortschrittseuphorie ein. Auch den Österreichern erscheint auf einmal nicht mehr alles „machbar“. Die Zukunftshoffnungen der Österreicher sinken 1973 laut IMAS von 50 auf 28 Prozent. Ebenso deutlich reagierte der Kirchgangsindikator: Erstmals kommt es - zumindest kurzfristig - zu einer Erholung des Kirchgangs. Während die Wahlkämpfer aller Parteien statt der Fortschritts-Floskeln nunmehr das Wort von der ,,gesi-cht rten Zukunft“ predigen, artikulieren sich in der Kirche auch wieder re-staurative Kräfte. Der Pluralismus relativiert und verschärft sich.

Vor diesem Hintergrund zeigt die Entwicklung der Katholischen Jugend bemerkenswert ähnliche Phasen, wobei auch deutlich wird, „daß die Geschichte der KJ nicht nur ähnliche Phasen kennt, sondern, diese Phasen in der KJ eher früher als in der Gesamtkirche auftreten“.

In der KJ sei man früher als in der Gesamtkirche bereits an die Grenzen der Nachkriegseuphorie gestoßen, was sich darin, so Zulehner, manifestiert habe, daß manche „Milieus“, namentlich die Arbeiterschaft und die Intellektuellen, nicht im' erwünschten Ausmaß zu gewinnen waren. So faßte die KJ 1948 den Beschluß, die Gesamtorganisation nach Milieus zu gliedern.

In der gesellschaftlich-weltanschaulichen Windstille der Staatsvertragsjahre erreicht die KJ ihre Hochblüte mit einem Mitgliedsmaximum von 120.000. Doch der Wind bläst der Katholischen Jugend bereits einige Zeit vor der Phase des deutlich rückläufigen Kirchbesuchs und der Kirchenaustritte ins Gesicht: Schon 1966 schrumpft der Mitgliederstand auf unter 100.000 zusammen (zur Zeit sind es noch knapp über 60.000). Den Verlust an der Basis, den Auszug der Jugend aus der Kirche insgesamt, führt Zulehner auf die wachsende „Dissonanzerfahrung“ zurück, die Menschen zwischen kirchlichem und außerkirchlichem Lebenswissen machen. Fragen der Sexualität, der Freiheit, des Fortschritts gewinnen eine neue Relevanz.

Innerkirchlich sind hier der Streit der KSJ um Fragen der vorehelichen Sexualität oder auch das Ringen der KAJ um innerkirchliche Anerkennung deutlich sichtbare Zeichen. Insgesamt wertet Zulehner die„Weltzu-wendung der Kirche“ als einen erfreulichen Ausdruck. Die K J greift bewußt Fragen der Entwicklungshilfe, der dritten Welt, des Wehrdienstes, der Gastarbeiter und auch der Demokratisierung in der Schule auf und macht sie zu Hauptbestandteilen ihrer gesellschaftspolitischen Arbeit.

In den letzten Jahren scheint sich, nach Zulehners Worten, eine neue Phase abzuzeichnen, in der eine neue Entwicklung das Erbe der Krisenjahre übernimmt: Jugendreligionen gewinnen an Bedeutung, es gibt wieder mehr Priesteramtskandidaten, mehr junge Leute interessieren sich für das Studium der Theologie, parteipolitisch gesehen wenden sich die Jungwähler von fortschrittsgläubigen Parteien wieder ab, was nach längerer Stagnation ihres Wählerpotentials der bundesdeutschen CDU/CSU erstmals wieder merklichen Auftrieb bei verschiedenen Regionalwahlen verschafft. Hand in Hand mit diesen spezifischen Aspekten geht auch ein leichter Anstieg der Kirchenbesuche einher (die Kirchgangshäufigkeit steigt, nachdem sie im vorhergegangenen Jahrzehnt steil abgesunken war, von 19 auf immerhin 21 Prozent leicht *n).

Mit dem Anbrechen einer Art „Neo-konservativismus“ scheint nun für die Katholische Jugend eine äußerst interessante und herausfordernde Zeit gekommen zu sein, die es in geschickter Arbeit positiv zu nützen gilt.

An den Schluß stellte Zulehner einen kurzen Ausblick, verknüpft mit konkreten Anregungen. Sein erstes Postulat bezieht sich auf die Identitäts-findung, wobei er den Wunsch aussprach, das typisch Christliche an der Katholischen Jugend zu profilieren und das Typische am pastoralen Tun der Kirche und das Eigentümliche am Christen hervorzukehren. In der Unterschiedlichkeit des innerkirchlichen Pluralismus hofft er auch das Gemeinsame wieder aufgewertet zu sehen. Ebenso sollte eine glaubwürdige und zugängliche Darstellung des Lebenswissens Jesu zu den Grundaufgaben der KJ zählen, schlug Zulehner vor. “Neben dem'Hinweis darauf, auch von der Zentrale der KJ aus müßten Impulse der Erneuerung an die Basis gerichtet werden, meinte Zulehner abschließend, der Pluralismus zwinge zu einer Neubewertung der sozialen Wirklichkeit Kirche: „Es ist humanwissenschaftlich unbestritten, daß spezifisches Lebenswissen nur dann relevant bleibt, wenn es seinen sozialen Ort hat.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung