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Heimkehr aus Utopia?

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Als vor etwa einem Jahr der Wahlanalytiker Ernst Geh-macher in einer Fernsehdiskussion feststellte, daß eine Untersuchung des Tiroler Landtagswahlergebnisse gezeigt habe, daß die Tiroler Jugend deutlich nach rechts tendiere, nannte ihn die Kritik einen Mann, der persönliche Wunschvorstellungen mit der Wirklichkeit verwechsle. Und kaum einer, auch niemand aus der SPÖ, fand sich bereit, Gehmachers Äußerung zu verteidigen. Diese Zurückhaltung war deshalb bemerkenswert, weil es Anfang der siebziger Jahre zu den ausgemachten Sachen der österreichischen Politik zählte, das politische Bewußtsein der Jugend sei links anzusiedeln.

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Als vor etwa einem Jahr der Wahlanalytiker Ernst Geh-macher in einer Fernsehdiskussion feststellte, daß eine Untersuchung des Tiroler Landtagswahlergebnisse gezeigt habe, daß die Tiroler Jugend deutlich nach rechts tendiere, nannte ihn die Kritik einen Mann, der persönliche Wunschvorstellungen mit der Wirklichkeit verwechsle. Und kaum einer, auch niemand aus der SPÖ, fand sich bereit, Gehmachers Äußerung zu verteidigen. Diese Zurückhaltung war deshalb bemerkenswert, weil es Anfang der siebziger Jahre zu den ausgemachten Sachen der österreichischen Politik zählte, das politische Bewußtsein der Jugend sei links anzusiedeln.

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Heute gelten derlei Behauptungen als wirklichkeitsfremd. Analysen des schichten- und gruppenspezifischen Wahlverhaltens in Österreich weisen (auch bei den Nationalratswahlen vom 4. Oktober 1975) deutliche Abweichungen jugendlicher Wähler vom allgemeinen Trend zur Sozialistischen Partei aus. So schlecht konnte in der Folgezeit für die Volkspartei gar keine Meinungsumfrage ausfallen, daß nicht die untypische Sympathie jugendlicher Wähler für die ÖVP auf der einen Seite Freude und auf der anderen Seite Besorgnis ausgelöst hätte.

Der öffentliche Streit des SP-Vorsitzenden mit den Jung-Politikern seiner Partei ist möglicherweise auch weniger auf ideologische Auffassungsunterschiede als auf eine tiefe Skepsis Kreiskys über die Wirksamkeit sozialistischer Jugendgruppen zurückzuführen. Juso-Führer Albrecht Konecny ist heute ehrlich genug, die Inefflzienz sozialistischer Jugend-Politik zuzugeben. Er nennt dafür. freilich Gründe, die von den sozialistischen Jugendorganisationen nicht von heute auf morgen aus der Welt geschafft werden können: das alles liegt, sagt er, an den bürgerlichen Wertvorstellungen der österreichischen Jugendlichen. Die Bereitschaft zur Leistung sei verhältnismäßig ungebrochen, es lebe in ihr noch der Wille zum Aufstieg, die Tendenz, auf prompten Konsum zugunsten längerfristiger Anschaffungen (Hausstandsgründung etc.) zu verzichten, bei der Jugend sei die Bereitschaft zum Wettbewerb, also zum Wesen der marktwirtschaftlich organisierten Demokratie, sehr stark zu spüren.

Seinerzeit, vor sechs, sieben Jahren noch war für die Kritikbereitschaft an der Gesellschaft die Tatsache wichtig, daß die Jugendlichen in einen Zustand relativen Wohlstands hineingeboren wurden. Maßstab war nicht mehr die frühere, schlechtere Zeit, Maßstab waren die denkmöglichen besseren Zustände. Entsprechend war auch für die jungen Menschen die Angst vor den Konsequenzen des Zerbrechens von Ordnung sehr viel geringer als im Rest der Bevölkerung. Diese Jugend hielt in Österreich und anderswo „Alice im Wunderland“ für eine rasch realisierbare Wirklichkeit. Daß es sich dabei um Utopia handeln mußte, erfuhren junge Menschen später, vielleicht in jenem Zeitpunkt, da der Öl-Schock die brüchige Basis des westlichen Wohlstandes freilegte, da die schärfste wirtschaftliche Rezession in den letzten dreißig Jahren die Grenzen von Wachstum und Wohlstand anzeigte. Diese Erfahrung hatte in zahlreichen europäischen Staaten für jugendliche Wähler sehr reale Konsequenzen. So betraf die Arbeitslosigkeit erst sie und dann die Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen. Wer immer heute von Spannungen auf dem Arbeitsmarkt hört und liest, muß auch zur Kenntnis nehmen, daß diese Spannungen in erster Linie die geburtenstarken jungen Jahrgänge betrifft. Es ist nur zu logisch, daß die verhältnismäßig rasche Bereitschaft der Jugendlichen zum gesellschaftlichen Wandel sofort ins Gegenteil umschlägt, wenn die Nachteile dieses Wandels von ihr selbst konsumiert werden müssen.

So wie bürgerliche Parteien Ende der sechziger Jahre die jugendlichen Wählergruppen fast aufgaben, damit jedenfalls nicht viel anzufangen wußten, so stehen sie heute vor der oft überraschenden Erkenntnis, daß die jugendlichen Wähler aus Utopia zu ihnen heimgekommen sind. In der Bundesrepublik Deutschland verzeichnete die Junge Union der CDU einen lebhaften Zulauf, während der FDP-Nachwuchs stagniert und der SPD-Nachwuchs starke Abgänge hinnehmen muß. Fast spiegelgleich ist diese Situation in Österreich.

Der deutliche politische Positionswechsel der Jugendlichen ist nur am Rande eine Frage des Stils und der Selbstdarstellung. Der Positionswechsel dürfte in erster Linie die Folge politischer Erfahrungen mit den Regierenden (und das sind nun einmal schon seit einiger Zeit Sozialisten), das Erkennen zahlreicher Widersprüche zwischen Wünschen und Wirklichkeit und — möglicherweise — auch die Folge der Entdeckung sein, daß die Generation der Eltern mit der nazistischen Vergangenheit so ziemlich überhaupt nichts zu schaffen hatte, sondern, im Gegenteil, in den fünfziger Jahren jung und politisch völlig unbelastet das „Wirtschaftswunder“ aufgebaut hat. Vor zehn Jahren noch konnten viele damals Achtzehnjährige ihren Eltern noch eine ungute politische Vergangenheit, politische Schuld und später politische Heuchelei vorwerfen. Das war unter den Bedingungen des relativen Wohlstandes nicht der geringste Grund, am politischen Radikalismus und am linken Jargon Gefallen zu finden.

Heute fehlt dieses Argument. Im Gegenteil: die heute Achtzehnjährigen sind in einem Milieu aufgewachsen, das vom Willen zu demokratischen Auseinandersetzungen, zum Aufbau mit und durch das marktwirtschaftliche System geprägt war. Es ist durchaus möglich, daß in dieser Generation des Aufbaus heute Energien verkümmert sind und die Bereitschaft zur staatlichen „Betreuung“ entdeckt wurde (was eine von vielen Erklärungen für die Erfolge sozialistischer Parteien in den siebziger Jahren wäre). Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß sich die Sozialisation, die die heute Achtzehnjährigen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre erfahren haben, heute in einem nur auf den ersten Blick untypischen Wahlverhalten niederschlägt. Dieser Erklärungsversuch ist gar nicht so spekulativ, wenn man berücksichtigt, daß der Mensch vor allem so ist, wie er in der stärksten Sozialisationsphase zwischen dem ersten Lebenstag und dem sechsten Lebensjahr geprägt wurde. Und Ende der fünfziger Jahre dominierten eben die bürgerlichen Tugenden, Haltungen und Werte in der gesellschaftlichen Prioritätenskala.

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