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Fundierte Skepsis
Die österreichischen Politiker bemühen sich nach Kräften, durch gezielte Sozialpolitik das abzuwehren oder in Grenzen zu halten, was man im allgemeinen international unter einer Zweidrittelgesellschaft versteht: eine Gesellschaft, in der es zwei Dritteln gut bis sehr gut und einem Drittel schlecht bis sehr schlecht geht.
Nun aber hat dieser Begriff durch die Entscheidung der österreichischen Wähler vom 12. Juni eine neue Dimension erhalten, die sich zuerst Jörg Haider zunutze gemacht hat, indem er von einer nunmehr existierenden „politischen Zweidrittelgesellschaft” sprach. Er hat mit dieser Wortprägung und Bedeutungsverschiebung aus der Not der Situation, in die er sich und seine Partei hineinmanövriert hat, eine Tugend gemacht und versucht, das Drittel der EU-Gegner für sich zu reklamieren, obwohl er sicher um vieles lieber die Mehrheit oder im Falle eines bloß knappen Ja eine stärkere Minderheit vereinnahmt hätte. Doch es bleibt ihm unter diesen Umständen nicht anderes übrig, als mit der Sperrminorität, die er sich ausrechnet, vorlieb zu nehmen.
Doch ganz abgesehen von dem Wortspiel und politischen Spiel, das Haider mit diesem neuen, alten Begriff treibt, läßt es sich nicht leugnen, daß das Votum der Wähler tatsächlich eine solche Zweidrittel- gegen Eindrittel-Polarisierung geschaffen hat. Und es wäre falsch, wie es die Meinungsforscher tun, in diesem Drittel nur Minderleister und Modernisierungsopfer zu orten. Denn in diesem Drittel befinden sich auch profilierte Persönlichkeiten, wie die Professoren Rupert Riedel und der Nationalökonom Erwin Weissei, der Sohn des 1934 als Februarkämpfer hingerichteten Schutzbundführers Georg Weissei, der wegen der EU-Linie sogar der SPÖ den Rücken gekehrt hat, deren Bedenken ernst zu nehmen sind. Es wird an der Bundesregierung liegen, diese fundierten Skeptiker durch das, was sie in Zukunft in Brüssel für Österreich herausholt, zu überzeugen. Ansonsten könnte es passieren, daß aus der Euphorie der Befürworter eine Ernüchterung wird, die über das heilsame und notwendige Maß, das jeder Begeisterung folgt, hinaus geht.
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