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Falsche Sparsamkeit
Wer ein Ohr für sprachliche Vorgänge hat, dem wird aufgefallen sein, daß man in letzter Zeit etwas feststellen kann, das unser Sprachgefühl empfindlich stört. Gemeint ist der „einsparende" Umgang mit Einzahl und Mehrzahl in folgender Art, wie er uns in den Medien immer häufiger begegnet. Beginnen wir mit einem typischen Beispiel aus der Gegenwart: „Die Moschee ist beschädigt, die Häuser zerschossen" (ORF). Muß da ein „sind" im zweiten Satzteil eingespart werden, wie man in einem Telegramm Wörter zu sparen pflegt? Oder in umgekehrter Folge in einer Glosse „Menschlichkeit": „Die Geschichte ist tragisch, die nachfolgenden Begleiterscheinungen skandalös" (, .Kronenzeitung"). Die „Neue Zürcher Zeitung" steht da nicht zurück: „Das meiste ist gescheit und vergänglich, die besten Teile jene, die nachdenklich stimmen."
Auch in Werbetexten macht dieses Sparsystem Schule. In einer Aussendung des Kurhotels Bad Leonfelden steht: „Einige Zimmer wurden neu adaptiert, im Blauen Salon eine Tee-bar gestaltet und für die Spieler eben dort ein Billardtisch aufgestellt." Eine Ankündigung aus dem Bankenbereich lautet: „Die Volksbank hat die richtigen Angebote und Sie die Freiheit der Wahl."
Selbst die Dichtung leistet ihre Beiträge. In Nikos Kazantzakis Roman „Die letzte Versuchung", durch die Verfilmung populär geworden, kann man, allerdings in der Übersetzung von Werner Krebs, lesen: „Die Nase war gebogen, die Lippen dick." Paul Heyse, Nobelpreisträger 1910, setzt sich über Formen des Hilfszeitwortes „sein" hinweg, indem er, ein einsilbiges Wort aus Reimnot dabei einsparend, eines seiner Gedichte beginnen läßt:, JDu bist so heiter wie der Tag, / Ich dunkel an Herz und Sinnen." Und was sagt man zur verwirrenden Syntax eines Hermann Hesse, gleichfalls Nobelpreisträger (1946), wenn man in seiner Erzählung „Narziß und Goldmund" folgendem Satz begegnet: „Seine Wangen wurden schmal, sein Blick erloschen, sein von allen geliebtes Lachen selten geworden". Hier müßte man überprüfen, ob nur in der zitierten Taschenbuchausgabe ein Versehen passiert ist oder ob es auch in früheren Auflagen so lautet.
Sparen ist recht und schön - am richtigen Ort, nicht jedoch in der Grammatik bei Singular und Plural!
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