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Positive Synthese

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Es war ein glücklicher Einfall, das Hauptprogramm des „Steirischen Herbstes“ mit dem „London Contem-porary Dance Theatre“ zu eröffnen. Einmal, weil, wer in Europa von „Modern Dance“ redet, an diesem berühmten und maßgeblichen Ensemble nicht vorbeisehen darf, und zum anderen, weil gerade das Programm des ersten Abends der Truppe auch Ballett-Laien im Publikum in die Besonderheiten dieser Kunstart einzuführen geeignet war. Von den „Blue Schubert Fragments“ zur Musik von „Der Tod und das Mädchen“ ging ein großes Maß von wehmütiger Schönheit, von elegischer Ästhetik aus. In den musiklosen Passagen dieser Tanzschöpfung Richard Aistons zeigte sich eindringlich die vollendete Ausdruckskraft dieses Ensembles. Die Truppe ist ein Teil des Contemporary Dance Trust, der einzigen autorisierten Stätte in Europa, an der Martha Grahams Tanzstil weitervermittelt wird.

In „Still Life“ von Robert North verschmelzen auf amüsante Weise die Medien des Tanzes und des Films. Ähnliches passierte in dem in Graz uraufgeführten Stück „Werna“ von Micha Bergese; leider fiel gerade diese Produktion infolge ihrer schwer durchschaubaren „Botschaft“ und ihrer unzulänglichen Musik stark ab. In zwei Nummern zeigen die jungen Tänzerinnen und ihre Partner, wie aus differenzierten Übungen des täglichen Trainings in hinreißender Steigerung ein Panorama tänzerischer und mimischer Ausdrucksmittel entstehen kann.

Laura Dean aus New York kommt vom klassischen Ballett, aber auch von Martha Graham, versteht sich indessen nicht als „modern dancer“. Sie hat ein Vokabular entwickelt, das vom Drehen, Gehen, Stampfen, Klatschen, bis zum Gesang reicht. Ihre Tänzer hoben im Grazer Schauspielhaus nicht nur ^Jance“ aus der Taufe, sondern holten, ähnlich wie die Amsterdamer „Scapino“-Leute, das Publikum auf die Bühne, um dem Zuschauer Schwerelosigkeit und Entspanntheit der Bewegung begreiflich zu machen.

In hintergründigem Zusammenhang mit dem Tanzfestival steht ein anderer Höhepunkt des „Steirischen Herbstes“: die umfassende und großzügig gestaltete Ausstellung des Werkes des Dichters und Malers Henri Michaux im Grazer Stadtmuseum. „Ich male, wie ich schreibe. Um zu finden, um mich wiederzufinden, um mein eigenes Bestes zu finden, das ich besaß, ohne es zu wissen“, sagt der nunmehr 77 Jahre alte belgische Künstler über sich selbst. Für Graz bedeutet die Ausstellung eine Wiederbegegnung mit dem „Informel“, das in den Nachkriegsjahren auch in Österreich mit Rainer und Ober-huber bedeutende Vertreter hervorgebracht hat.

Michaux durchgräbt alle Regionen des Unterbewußten (zum Teil mit Hilfe der Droge Meskalin), bringt seine Erfahrungen spontan zu Papier, entwickelt das Aufgezeichnete während dieser Aktionen weiter und schafft damit Bilder von kaum beschreibbarer Eindringlichkeit.

Schriftzeichen werden zu Figuren, Figuren zu Schriftzeichen, anonym und doch fast peinigend gegenwärtig, sich verdichtend, auseinanderschießend, in stetiger Bewegung: vergleichbar den Choreographien der Meister des „modern dance“. Tuschflecken, in ihrer Bedrohlichkeit beunruhigend, in ihrem Zerfließen optimistisch, tiefschwarz in ihrer Verdichtung und leicht in ihrer Befreiung.

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