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Amerikas Mary Wigman

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Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wurde die amerikanische Tanzkunst maßgeblich von Isadora Duncan, Rudolf von Laban, Harald Kreutzberg und Mary Wigwam beeinflußt. So stark, daß man den damals die Szene beherrschenden Ausdruckstanz als „German Dance“ bezeichnete. Balanchine kam viel später nach Amerika, dessen Bürger er 1936 wurde, und er propagierte den Neoklassizismus. Er gastierte mit seinen Tänzern überall in Europa und hat viele beeinflußt. Aber die stärkste Anregung von drüben kam von Martha Graham, die „große Be-unruhigerin“, die als solche nur mit Picasso, Joyce und Schönberg zu vergleichen ist.

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Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wurde die amerikanische Tanzkunst maßgeblich von Isadora Duncan, Rudolf von Laban, Harald Kreutzberg und Mary Wigwam beeinflußt. So stark, daß man den damals die Szene beherrschenden Ausdruckstanz als „German Dance“ bezeichnete. Balanchine kam viel später nach Amerika, dessen Bürger er 1936 wurde, und er propagierte den Neoklassizismus. Er gastierte mit seinen Tänzern überall in Europa und hat viele beeinflußt. Aber die stärkste Anregung von drüben kam von Martha Graham, die „große Be-unruhigerin“, die als solche nur mit Picasso, Joyce und Schönberg zu vergleichen ist.

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Martha Graham hatte in/New York bei Ruth St. Denis studiert und debütierte als Tänrzerin bereits 1926. Bald beherrschte sie ihren Körper als Instrument der psychologischen Aussage, und zwar nicht nur durch die Muskeln^ sondern auch durch die Nerven. Von allem Anfang an zeigte sie auch einen stark ausgeprägten Stiwillen, und ihre Truppe, die zunächst nur aus jungen Mädchen bestand, was Wachs in ihrer Hand, und das Publikpm war gerade damals sehr für diese Art Kunst sensibel. Dhre wichtigsten Creationen schuf Martha Graham nämlich unmittelbar vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg, aber in Europa hat sie, wenn wir gut unterrichtet sind, ihre Truppe erstmals 1954 vorgeführt Hier erkannte man gleich ihre Qualitäten, und wer eines dieser Gastspiele gesehen hat, vergaß es nicht so bald.

Ihre damalige „Modernität“ wurde noch dadurch gesteigert, daß sie sehr früh Verbindung mit zeitgenössischen Musikern aufnahm — aber leider nicht mit den besten (im Unterschied etwa zu Aurel von Milloss, der die Klassiker der Moderne bevorzugte). Bei ihrem Wiener Gastspiel hörten wir zum Beispiel, von Tonbändern, Kompositionen von Copland, Dello Joio, Horst, Hov-hannes, Barber und Schuman, nur ein Stück war von Kodaly, und man konnte wieder einmal erkennen, wieviele Impulse von einer guten Musik ausgehen.

An drei Abenden zeigte Martha Graham zehn ihrer Ballette, das früheste stammt aus dem Jahre 1930: die Soionummer „Lamentation“, die sie selbst viele Male tanzte und die jetzt Peggy Lyman anvertraut war. Wir können leider nur die wichtigsten Titel nennen und einige Charakteristika hervorheben. Das gelungenste, weil zugleich auch das am meisten „poetische“ des ersten Abends war „Das Vergnügen der Engel“ mit drei „verschiedenfarbigen“ Paaren und weiteren sechs Solisten. „Der bedrohte Garten“ ist das Paradies mit Adam, Eva, LEith und dem „Fremden“ (Diana Gray, Daniel Ma-loney, Peggy Lyman und Mario De-lamo). „Der Büßer“ (II Penitente) spielt im Südwesten Mexikos und führt Kulthandlungen einer religiösen Sekte vor. — Zum Abschluß „Appalachian Springs“, folkloristisoh gefärbt und gefällig. (Es stand auch auf dem Programm des dritten und letzten Abends.) Dieser wurde mit „Circe“ eröffnet, der „Höhlen des Herzens“ folgte, eine Transkription des Medea-Stoffes mit Glanzrollen für Takako Asedawa, Tim Wengerd, Bonnie Oda Homsey und Janet Eil-ber. — Den Abschluß bildete „Weg durch die Nacht“ — eine pbantasie-vollq und eigenwillige Gestaltung der Ödipus-Sage. ,

Im Mittelpunkt stand, in mehrfacher Hinsicht, der zweite Abend mit dem zweieinhalbstündigen, dreiakti-gen, durch zwei überlange Pausen zerdehnte Ballett „Clytemnestra“ — Hier zeigten sich am deutlichsten Martha Grahams Eigenart, aber auch gewisse Schwächen, bedingt durch allzu große Kompliziertheit — und im Stiah gelassen von der orientali-sierenden Musik eines uns unbekannten Komponisten namens Halim El-Dabh, eine wahre Nervensäge. Der mittlere Akt faszinierte zusätzlich durch die traumhaft schönen und zugleich unheimlichen Bühnenbilder ihres Hausmialers Isamu No-guchi, eines Künstlers, der mit sparsamsten Mitteln ein Maximum an atmosphärischer Wirkung zu erzielen versteht.

Für die Tänzer der Graham-Truppe ist kein Lob hoch genug. Sie vollbringen das Unwahrscheinlichste, oft an Akrobatik Grenzendes. Und sind doch nicht ganz so überfordert, wie es die erste Garnitur war. Denn Martha Graham, die heute 84jährige, hat im Vergleich zu früher manches geglättet, vereinfacht, oft simplifiziert. Ob dies ein Vorteil oder ein Nachteil ist, könnte man nur durch unmittelbare, direkte Gegenüberstellungen von Einst und Jetzt nachweisen. Das Publikum der drei ausverkauften Abende 'hat alle Mitwirkenden sehr herzlich gefeiert.

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