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Selbsthilfe durch Hilfe
Wem kann geholfen werden?
Jedem der Hilfe braucht. Es ist der Sinn jenes strapazierten Gleichnisses vom barmherzigen Samariter, daß der zum Nächsten wird, der in Not ist; daß der Christ, d: h. jener, der sich auf den Weg Jesu begibt, sich seinen Nächsten nicht aussucht, weil er sonst in Gefahr gerät, sich im Labyrinth der eigenen Vorwände zu verrennen.
Die Caritas, deren Fähigkeit zur Hilfe in jedem Fall von der Anteilnahme der Bevölkerung an menschlichen Notsituationen das Ausmaß zugeteilt wird, ist deswegen auch ein ziemlich feinnihliger Seismograph für die humane Sensibilität der Bevölkerung. Dabei zeigt sich, daß diese Österreicher ein äußerst hilfsbereites Volk sind.
Allerdings stieß die Caritas im heurigen Frühjahr auch auf eine sonderbare Verweigerung, als sie um Hilfe für die Lieferung von Lebensmitteln nach Polen aufrief. Bei den öffentlichen Einwänden dagegen ging es nicht um die Frage, ob eine solche Hilfe tatsächlich notwendig sei, da es sich in Polen nicht um eine lebensbedrohende Hungersituation handelt.
Die Verweigerung der Hilfe zielte auf die Hilfsbedürftigen, nämlich die Polen, und sie ist so vielleicht auch tätlicher Ausdruck jener Diskussion, die in Teilen der Öffentlichkeit um die in dieser Zeit ausgestrahlte Fernsehdokumentation „Flucht und Vertreibung" entstanden ist.
Der Zusammenhang dieser Diskussion mit der Caritas ist allerdings nicht nur ein praktischer, der bloß im geringen Spendenaufkommen zu Buche schlüge. Der Zusammenhang ist ein grundsätzlicher, da „Caritas" (Liebe zum Nächsten) die Dimension der Leidbewältigung einschließt.
Die nachfolgende Diskussion um die Mitteilungen der Fernsehserie war notwendig. Der notwendige - und vermutlich einzige - Beitrag des Christen dazu war und ist, zu prüfen und zu bezeugen, wie tragfähig der Geltungsbereich der Wirklichkeit der Botschaft Jesu ist und wie weit der Erfahrungsbereich des, genuin Christlichen innerhalb einer Gesellschaft reicht.
Es hat den Anschein, als ob das erlittene Unrecht bei sehr vielen zu einem Fundus an un-bewältigtem Leid geworden wäre, das heißt aber auch: zu seelischer Verarmung und Hilflosigkeit, zu seelischer und geistiger Unfreiheit - oder in Übersetzung dieser psychischen Kategorien in die geistlichen: zum Unheil des Denkens (und Handelns) in den Bahnen der Rache und Vergeltung.
„Caritas" (tätige Liebe zum Nächsten) ist eine Erlösung vom Unheil. „Werdein Hemd will, dem gib deinen Rock."
Wenn erlittenes Unrecht nicht als Einsatz der Vergeltung verwendet wird und so zum Faustpfand seelischer Behinderung werden soll, sondern überwindbar sein muß und einer Heilung bedürftig ist, dann kann Hilfe (an Polen etwa) jene erlösende Tat sein, die seelische Befreiung bringt.
Es ist die therapeutische Funktion der „Caritas", daß Hilfe zur Selbsthilfe werden kann - die geistliche Lösung ist eine seelische.
Das humanste Mysterium des Christentums sind die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Schuldvergebujig.
„Caritas" (befreiende Liebe zum Nächsten) ist als Trauerarbeit die Hoffnung, daß Leid und erlittenes Unrecht in der Heilsgeschichte aufgehoben sind: nicht gespeichert zur Aufrechnung, sondern anheimgegeben der Vergebung, weil Leid und erlittenes Unrecht in der am Ende gültigen Erlösung endgültig geheilt werden.
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