"Das müssen wir in unserer Partei wieder rückgängig machen"

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Mit großen Schritten nähert sich ein Mann der Spitze von Österreichs Grünen an: Stefan Kaineder ist erst im Februar Werner Koglers Stellvertreter auf Bundesebene geworden - ebenso wie die Vorarlbergerin Nina Tomaselli. Beide gelten als Zukunftshoffnungen und sind seit November im Vorstand der Partei. Am Samstag kandidiert Kaineder für den Job des Grünen Landessprechers in Oberösterreich. Als Einziger. Mit Politik ist Kaineder aufgewachsen -sein Großvater war 23 Jahre lang ÖVP-Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Kirchschlag. Werner Koglers Chefsessel an der Spitze der Bundes-Grünen wird 2021 frei. Dann könnte Kaineder aber auch statt Rudi Anschober als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf ziehen.

DIE FURCHE: Herr Kaineder, reden wir gleich über ihre jüngsten Kandidaturen: Anschober oder Kogler - wen wollen Sie lieber ersetzen?

Stefan Kaineder: Beide Fragen stellen sich noch nicht. Ich habe in der Bundespartei Verantwortung übernommen, da die vergangene Nationalratswahl ein herbes Erlebnis für die Grünen war. Werner Kogler wird bis zum Herbst 2021 Parteichef sein.

DIE FURCHE: Warum geht er dann auch nach Brüssel?

Kaineder: Der Werner ist ein Kämpfer, der sich nicht durch die lange Zeit im politischen Establishment verändern hat lassen. Er funktioniert am Stammtisch wie am Rednerpult im Parlament und ist jemand, der Themen offen anspricht, den Konflikt nicht scheut. Parlamentarismus in Reinform, wie er im Europäischen Parlament gemacht wird, liegt ihm.

DIE FURCHE: Sie sind Mühlviertler, am Bauernhof aufgewachsen. Sie haben Theologie studiert, ihr Großvater war zwei Jahrzehnte ÖVP-Bürgermeister. Das klingt insgesamt recht schwarz. Warum sind Sie bei den Grünen politisch aktiv geworden?

Kaineder: Mit dem Bürgermeister als Opa wird am Küchentisch immer politisiert. Wenn man die Welt besser machen will, ist Politik eines der richtigen Felder. Ich sehe dabei zwei Herausforderungen: die Schere zwischen Arm und Reich - nicht nur in Österreich, sondern auch global - zu schließen und mit nur einem Planeten auszukommen. Freitags gehen nun Tausende junge Menschen auf die Straßen. Sie sagen völlig zu Recht: Ihr könnt's uns unsere Zukunft nicht wegnehmen!

DIE FURCHE: Kommen wir zur obligatorischen Grünen-Frage: Fundi oder Realo?

Kaineder: Beides. Wir müssen in der Analyse der Problemstellungen radikal sein. Es hilft nichts, zu sagen: "Das mit der Klimakrise wird schon, da gibt's die eine technische Neuerung und dann schaffen wir den Turnaround." Die Wissenschaft sagt das Gegenteil. Dann müssen politische Mehrheiten her durch Diskurs und Kompromiss. So gesehen bin ich pragmatisch. Als Politiker kann ich nicht sagen: "Ich verkündige die Wahrheit und warte, was passiert."

DIE FURCHE: Die Dringlichkeit betonen kann jeder. Was sind konkrete Maßnahmen? Kaineder: Anträge hab ich schon zur Genüge gestellt in dreieinhalb Jahren als Oppositionspolitiker im Landtag. Die Mindestsicherungsdebatte fiel im meinen Bereich. Da ist ja Oberösterreich leider ein Negativbeispiel.

DIE FURCHE: Auf welche Aktion sind Sie stolz? Kaineder: Zum Beispiel haben wir als erstes Bundesland die stressfreie Schlachtung im gewohnten Lebensumfeld durchgesetzt. Das ist im Übrigen der einzige Erfolg, den ich zu verzeichnen habe, aus 18 oder 19 Anträgen zur Landwirtschafts-und Ernährungspolitik. Nachdem ich da mit vielem abgeblitzt bin, fahre ich durch die Wirtshäuser des Landes.

DIE FURCHE: Was hat Sie bei diesen Stammtischgesprächen bisher überrascht?

Kaineder: Was mich wundert, ist, dass Menschen mit den verschiedensten Überzeugungen -von der Veganerin bis zum blauen Landwirtschaftskammerrat -mit einem Grünen diskutieren wollen. Das empfinde ich als große Wertschätzung.

Trotz der Unterschiede gibt es weitgehend Einigkeit über die Rahmenbedingungen. Wenn ich die Frage stelle: Wer will gesunde, regionale, bäuerliche Lebensmittel am Tisch, gehen alle Hände in die Höhe.

DIE FURCHE: Wenig verwunderlich. Aber wer ist bereit, dafür zu zahlen? Für Essen geben Österreicher durchschnittlich nur 13 Prozent ihres Einkommens aus.

Kaineder: Die Diskussionen führen uns immer zu den Förderbedingungen: Wollen wir weiterhin Milliarden in die Agrarindustrie investieren oder Subventionen so bauen, dass eine kleinstrukturierte Landwirtschaft konkurrenzfähig bleibt? Viele zeigen eine Bereitschaft zu geringfügig höheren Preisen. Eine Studie der BOKU zeigt, dass man sich mit Umstellung auf biologische Landwirtschaft 425 Millionen Euro jährlich sparen würde an Folgekosten.

DIE FURCHE: "Fenster aufreißen, frischen Wind herein lassen und mutig voran", sagen Sie in Ihrem Bewerbungsvideo ...

Kaineder: Diese Aufforderung bezieht sich nicht nur wie bei Neos frischen Wind auf den politischen Diskurs insgesamt, sondern auch auf die Grünen. Wir waren von unserer Genese her eine Bewegung, die aus vielen verschiednen weltanschaulichen Gruppierungen zusammengesetzt ist und die sich nicht als geschlossene Partei verstanden hat. Das hat sich geändert und wir müssen es wieder rückgängig machen. Gerade weil wir nicht im Nationalrat sitzen, ist es wichtig, Bündnispartner zu finden.

DIE FURCHE: Arbeitsübereinkommen für bestimmte Sachthemen? Kaineder: Das funktioniert nicht nur bei Sachthemen, sondern auch -weil es die neue Regierung erfordert -bei ganz fundamentalen, politischen Werten. Es gibt Menschen aus allen Lagern, die überhaupt nicht einsehen, dass das Wertefundament dieser Republik jetzt angegriffen wird. Hier müssen wir für die Zusammenarbeit in der Opposition offen sein.

DIE FURCHE: In Oberösterreich gibt es starke Industrie-Regionen. Wie wollen Sie die Wirtschaft auf Ihre Seite bringen?

Kaineder: Unter Schwarz-Grün ist die Voest Alpine mit neuen Umweltauflagen konfrontiert worden. Der Aufschrei war groß, aber jetzt steht in Linz das sauberste Stahlwerk der Welt. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen in jedem Quartal die höchsten Gewinne der Konzerngeschichte geschrieben. In Kalifornien sieht man, dass die Energiewende eine Riesenchance für den Wirtschaftsstandort ist. Der Bundesstaat zeichnet innerhalb der letzten zehn Jahre für 20 Prozent des gesamten Wirtschaftswachstums der Vereinigten Staaten verantwortlich. Das hat nur einen Grund: nämlich volle Kraft voraus bei der Energiewende.

Das Silicon Valley und die großen Technikgiganten werden auch ihren Anteil daran haben

Kaineder: Wir lassen bei der Umgestaltung unserer Gesellschaft viele Chancen liegen. Weil wir nicht vorangehen, sondern hinterherhecheln. Das gilt auch für die Ernährungswende und bei der Verkehrswende.

DIE FURCHE: Sie finden auch, "die Politik soll mehr Biolandwirtschaft machen". Ist die Produktionsweise nicht Entscheidung der Bauern und der Konsumenten? Das kann man nicht politisch verordnen.

Kaineder: Die hochpolitische Frage ist: Wofür geben wir Gelder aus? Momentan fließt ein Drittel der 50 Milliarden Agrarförderung an 1,5 Prozent der Betriebe. Nehmen wir doch die 17 Milliarden Euro und investieren sie in Ökologisierungsmaßnahmen. Jene Bäuerinnen und Bauern, die biologisch wirtschaften, die Wasserund Artenschutz betreiben, bekommen das Geld.

DIE FURCHE: Das betrifft die Verhandlungen des mehrjährigen Finanzrahmens, die gerade laufen.

Kaineder: Wir haben starke Grüne in Deutschland und Holland. Diese Allianzen suchen eine Mehrheit für die Kommissionsvorschläge. Zum Beispiel soll kein Betrieb mehr als eine bestimmte jährliche Fördersumme bekommen. Mit dem Drittel, das frei wird, müsste man radikal in die Ökologisierung gehen. Als zweites darf es kein Abkommen wie Mercosur geben, das billigstes Soja aus Südamerika, wo Urwälder verschwinden und das Glyphosat mit dem Flugzeug ausgebracht wird, in den Markt schwemmt.

Als studierter Theologe: Was kann die Politik aus der Theologie lernen?

Kaineder: Die Würde des einzelnen Menschen, der behutsame Umgang mit der Umwelt, das Gemeinwohl im Fokus politischer Entscheidungen -das sind die Eckpfeiler der christlichen Soziallehre. Auf diesem Wertefundament versuche ich, Politik zu machen. Ich merke, dass dieser Konsens, den es in Österreich darüber gab, bröckelt. Es gibt Politikerinnen und Politiker, die ihren eigenen Vorteil über diese Werte stellen. Das ist bedenklich und fordert uns heraus, sie vehementer einzufordern.

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