Ein Nomade der Ideen und Orte

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Mit einer groß angelegten Francis-Picabia-Retrospektive erinnert die Kunsthalle Krems an einen der nonkonformistischen Künstler der jüngeren Vergangenheit. Als "Columbus der Kunst“ wurde er von einem Kollegen bezeichnet, als Segler "ohne Kompass“.

Am Ende war Francis Picabia völlig ausgebrannt. In seinem Todesjahr, 1953, verlor er sein Gedächtnis, konnte nicht mehr malen. Davor lag ein aufwühlendes Leben, das den 1879 in Paris geborenen Sohn eines kubanisch-stämmigen Spaniers, der als Kanzler an der kubanischen Botschaft in Paris arbeitete, mehrfach zwischen Europa und Amerika pendeln ließ und vor allem zu den unterschiedlichsten stilistischen Ausdrucksformen führte.

Zuerst unter dem Einfluss Sisleys und Pissarros Impressionist, setzte er sich bald mit Fauvismus und Kubismus auseinander, entwickelte unter dem Eindruck mehrerer Reisen nach New York seine Maschinenbilder. Ende der 1920er-Jahre gehörte er zu den Mitbegründern des Dadaismus, wandte sich dem Surrealismus zu, zeigte Interesse an der Hyperfotorealistik - und schloss schließlich seine individuelle Reise durch die Kunstgeschichte mit abstrakten Arbeiten ab.

Zwei Jachten, 130 Autos …

"Man muss ein Nomade sein, durch die Ideen wie durch Länder und Städte gehen, Sittiche und Kolibris essen, lebende Pinseläffchen verschlingen, Giraffen das Blut aussaugen und sich von Pantherfüßen ernähren“, erläuterte der wortgewaltige, sich gerne den Genüssen des Lebens hingebende Franzose seine stetig wechselnden Ambitionen, immer getragen von der Absicht, sich von keiner Richtung vereinnahmen zu lassen.

Entsprechend vielfältig sind die Themen, mit denen er sich im Laufe seines Lebens auseinandergesetzt hat: zuerst wenig Individualität verratende, impressionistische Landschafts- und Architekturdarstellungen, an denen er seinen Sinn für Farblichkeit schult, später mit surrealem Wortwitz angereicherte Maschinenporträts, dann von der Antike, der Romantik und italienischen Malerei beeinflusste dreidimensionale "Transparenzen“. In den 1930er-Jahren, in denen Picabia gleich zwei Jachten an der Küste von Cannes liegen hatte, an die 130(!) Autos besaß, eine Doppelbeziehung mit Germaine Everling und seiner späteren Ehefrau Olga Mohler führte, fasziniert ihn der von ihm in den unterschiedlichsten Facetten gemalte weibliche Akt.

Inspirieren zu diesen Arbeiten ließ er sich auch durch Fotos aus Trivialmagazinen - eine autobiografische Erinnerung an seine frühen Jahre. Als sein mit Daguerre, dem Pionier der modernen Fotografie, befreundeter Großvater einmal meinte, die Farbfotografie werde die Malerei ablösen, konterte der jugendliche Francis, dass man eine Landschaft fotografieren könne, nicht aber die Formen, die er im Kopf habe. Das Ende seines künstlerischen Wegs bilden abstrakte Bilder, konzentriert auf einige wenige Punkte.

Am Beispiel von rund 180 Werken aus allen Schaffensphasen, zur Verfügung gestellt von 50 bedeutenden internationalen Museen und zahlreichen privaten Sammlern, wird in der Kunsthalle Krems Francis Picabias eigenwilliger, alle Konventionen meidender Weg anschaulich chronologisch dokumentiert, begleitet von knappen, informativen Texten.

Gelassenheit, Leichtigkeit, Gemütsruhe

Ebenso sorgfältig ausgewählte Dokumente erinnern an seinen engeren Freundeskreis, voran die Brüder Duchamp, André Breton, Man Ray, Guillaume Appolinaire, an die Gründung und Mitarbeit der den Dadaismus wesentlich begleitenden Zeitschrift 391 sowie an von ihm illustrierte Bücher. An einigen bisher unveröffentlichten Briefen und Gedichten lässt sich Picabias Handschrift studieren. Für Cineasten gibt es in dieser auf Klarheit und Übersichtlichkeit zielenden Schau den legendären, zusammen mit René Clair und Erik Satie entstandenen Kurzfilm "Entr’acte“ aus 1924 zu sehen.

Aus einer solchen Perspektive wird deutlich, was sein Künstlerkollege Hans Arp über ihn gesagt hat: "Francis Picabia ist der Christopher Columbus der Kunst. Niemand erreicht seine philosophische Gelassenheit, seine kreative Leichtigkeit, seine Gemütsruhe als Künstler. Er segelt ohne Kompass.“

Francis Picabia. Retrospektive

Kunsthalle Krems

bis 4. November, tägl. 10-18 Uhr

www.kunsthalle.at

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