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Die „Wasserpolaken“

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Das tragische Schicksal eines kleinen Volkes zwischen großen Völkern

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Das tragische Schicksal eines kleinen Volkes zwischen großen Völkern

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Das Schicksal Oberschlesiens ist durch den Gegensatz zwischen Teilung und Einheit gekennzeichnet. Seit der Bildung plastischer Herzogtümer in Oberschlesien bis zum Frieden von Hubertusburg 1763 war Ober- . Schlesien eine Einheit. Der Friede von ; Hubertusburg brachte die erste Teilung in i Preußisch- und Oesterreichisch-Oberschlesien. : Am Ende des ersten Weltkrieges gab es drei i Rivalen um den Besitz dieses wertvollen Landes: die Deutschen, die Polen und die Tschechen. Die Kämpfe um Oberschlesien ‘ und die zweite Teilung verschärften nur die . Gegensätze. Oberschlesien zerfiel in einen . preußischen Teil, Regierungsbezirk Oppeln, , in einen tschechischen Teil, Oesterreichisch- Schlesien und Hultschin und einen polnischen Teil, Preußisch-Ostoberschlesien und Oesterreichisch-Ostschlesien, vereinigt in der Woiwodschaft Sl?sk. So ging die Einheit des .Landes endgültig verlören. Das Jahr 1939 brachte unter nationalsozialistischen Vorzeichen neuerlich die Einheit. Ostwest- und . Südostoberschlesien wurden zu einem Reichsgau vereinigt, der vom Jablunkapaß im Süden bis Tschenstochau im Norden, von Schurgast im Westen bis vor Krakau im Osten reichte. Der Untergang des Hitler- 3 Reiches brachte eine neuerliche Teilung zwischen Polen und der Tschechoslowakei, ‘ Deutschland schied als Teilungspartner aus.

Der oberschlesische Raum zählt etwa 22.000 Quadratkilometer und über vier Mil- c honen Einwohner. Auf dem Boden Oberschlesiens lebten vier Völker nebeneinander: s Slonzaken, Polen, Tschechen und Deutsche. 1 Die Sprachenfrage ist daher eine Existenz- ‘ frage Oberschlesiens, denn an der Glatzer t. Neiße beginnt das Sprachgebiet der westsla-wischen Wasserpolen oder Slonzaken von Slask, sprich Slonzk, das heißt Schlesien, das 1 bis Krakau und tief in die Mährische Pforte t: reicht. In den Städten lebten etwa 200.000 evangelische Deutsche. Neben ihnen tritt seit ; 1921 ein kongreßpolnisches Element und in , Südostoberschlesien ein tschechisches Element hinzu. Seit 1945 wurde die deutsche Bevöl- . kerüngsschicht vertrieben und durch Kon- ! greßpolen und Tschechen ersetzt.

Der Bestand einer slönzakischen, also i schlesischen Nation wird von den drei Nach-. barnationen geleugnet. Der preußische Staat bezeichnete sie bis 1945 als „Kuhurcjeucsche“, als polnisch-deutsches Mischvolk, ebenso wie die 200.000 Kaschuben Westpreußens und die 200.000 Masuren Ostpreußens. Trotz wasserpolnischer Muttersprache, die die Oberschlesier als „Haussprache“ erhalten haben, wurden sie als Deutsche, jedoch als solche zweiter Ordnung, angesehen. Die Namen „Peronnie“ oder „Wasserpolak“ zeigten in Deutschland die Zweitrangigkeit an, die sich schließlich 1934 bis 1944 in den diskriminierenden „Volkslisten“ ausdrückte.’ Die Polen bezeichnen die Slonzaken lediglich als polnischen Stamm, die Tschechen wieder als „mährischen“ Stamm, der die sprachliche Brücke zwischen Tschechen und Polen darstelle. Das Wasserpolen tum steht so in einem dreifachen Abwehrkampf gegen die kulturell bereits erfolgte Germanisierung, gegen die Polonisie- rung und gegen die Tschechisierung, der bereits Teile des südlichsten Volksbodens zum Opfer gefallen sind. Von den Deutschschlesiern unterscheidet die Slonzaken das Religionsbekenntnis. Sie haben sich der Reformation nicht angeschlossen und gehören zu den treuesten Katholiken Europas. Diese katholische Gesinnung ließ Oberschlesien stets zum donaueuropäischen Raum und dessen Kultur tendieren. Die Germanisie- rungsbestrebungen der Preußen Setzten mit der Polen Verfolgung unter Bismarck 1873 ein, die die bisher dem deutschen Staat treu ergebenen Kaschuben und Masuren in 3ie nationalpolnische Bewegung trieb, und konnte erst um 1900 auf die Wasserpolen in Oberschlesien übergreifen, denen sie vorher gänzlich fremd gewesen waren. Diese Politik führte notgedrungen zur ostdeutschen Katastrophe von 1918 und 1945.

Es ist nur der tiefen Religiosität der Oberschlesier zu verdanken, daß der Linksextremismus in Oberschlesien nicht Fuß fassen konnte, obwohl die soziale Frage in schärfster Form bestand. Eine dünne Schicht preußischer Landjunker, polnischer Gutsbesitzer und deutscher Kohlenbarone herrschten über Millionen Slonzaken, die als Bergleute, Arbeiter und Kleinstbauern rechtlos dahinlebten. Ihre einzige Stütze war die katholische Kirche, ihr volksverbundener Klerus, der vielfach, wie zum Beispiel der große wasserpolnische Kardinal August H 1 o n d, in Wien studierte und wirkte. Trotzdem waren die oberschlesischen Regi-

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