Die Rückkehr der Ölprinzessin

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Politisch hatte man sie schon abgeschrieben: Vier Monate vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl stehen die Zeichen für sie jedoch auf Wahlsieg: Julia Timoschenko. Wie konnte das passieren?

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Politisch hatte man sie schon abgeschrieben: Vier Monate vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl stehen die Zeichen für sie jedoch auf Wahlsieg: Julia Timoschenko. Wie konnte das passieren?

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Spätestens nach der krachenden Niederlage gegen Petro Poroschenko im Mai 2014 hatten viele die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko abgeschrieben. Nun scheint es, als stehe die "Gasprinzessin" vor ihrem politischen Comeback. Zwar sind die Wahlprognosen in der Ukraine alles andere als verlässlich und ein Drittel der Wähler noch unentschieden, doch sehen derzeit alle existierenden Umfragen die 57-jährige Politikveteranin im Rennen um die ukrainische Präsidentschaft weit vorne. Obwohl der offizielle Wahlkampf zum Urnengang am 31. März 2019 erst am 31. Dezember 2018 beginnt, kommt man bereits jetzt an der Wahlwerbung Timoschenkos in der Ukraine kaum vorbei -sei es auf den Straßen, im Fernsehen oder auf YouTube. Natürlich ist ihr Wahlsieg keinesfalls sicher. Trotzdem haben wir uns gefragt, wie ihr dieses eindrucksvolle politische Comeback gelingen konnte.

Zunächst: "Die ukrainische Politik ist impotent. Ihr seid Helden. Ich träumte davon, eure Augen zu sehen. Ihr seid das Beste, was es in der Ukraine gibt." Auf dem Maidan sprach Timoschenko noch in der Hoffnung, die Politik nach dem Erfolg der Maidan-Revolution anführen zu können. Doch daraus wurde nichts: Die Ukrainer lehnten sie ab, der Wunsch nach jemandem, der nicht zum etablierten System gehörte, war zu stark. Bei der nächsten Präsidentschaftswahl bekam sie gerade einmal 12,81 Prozent der Stimmen. Dass Timoschenko nun wieder ganz vorne landet, hat vor allem mit der Alternativlosigkeit zu tun. Die Szene wird immer noch von alten Systempolitikern dominiert.

Poroschenko schwach und unglaubwürdig

All das hätte dem amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko eigentlich zum Vorteil gereichen können: Der Oligarch mischte vor seiner Wahl 2014 zwar seit Ewigkeiten in der Politik mit, agierte jedoch im Hintergrund und stellte sich deswegen erfolgreich als vermeintlich konstruktive Alternative zum Establishment dar. Außerdem galt das Präsidentenamt im Frühjahr 2014 angesichts der russischen Annexion der Krim und des beginnenden Krieges im Donbass nicht gerade als der attraktivste Job der Welt. Viele glaubten, Poroschenko würde sich als "Retter der Ukraine" in die Geschichtsbücher einschreiben wollen. Reich sei er ja sowieso schon.

Doch der Eindruck täuschte: Während andere Oligarchen ständig Geld verloren, nahm Poroschenkos Vermögen vor allem in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft auffallend stetig zu. Der Durchschnittsukrainer nimmt es dem Milliardär außerdem übel, dass er seinen Schokoladekonzern Roshen trotz seines eindeutigen Versprechens nicht verkauft, sondern lediglich an einen Blind Trust übergeben hat. Poroschenkos kostspieliger Neujahrs-Trip auf die Malediven, ohne sich vom Arbeitsplatz abzumelden und am Flughafen ordnungsgemäß auszureisen, war zudem ein wahrer PR-Gau.

Während Poroschenko versucht, seine Wiederwahl mit patriotischem Getöse zu sichern - sein Wahlslogan lautet "Armee, Sprache, Glaube" - spielt Timoschenko überraschend die konstruktive Karte: Im August stellte sie ihr neues Verfassungsprojekt vor, Ende September ein 400-seitiges Wirtschaftskonzept -und bis Jahresende will sie noch einen eigenen Friedensplan für den Donbass veröffentlichen. Präsentiert wird das Ganze meist im Rahmen sogenannter Expertenforen, zu denen, anders als in der ukrainischen Politik üblich, auch politische Gegner eingeladen werden.

Timoschenkos Programm macht auf den ersten Blick einen besseren Eindruck. Doch beim genaueren Hinsehen sind ihre Vorschläge die üblichen. Sie will mehrere Referenden durchführen und insgesamt mehr direkte Demokratie wagen. Außerdem will sie den öffentlichen Druck auf die Nationalbank erhöhen. Laut Timoschenko sei der reale Kurs der Nationalwährung Hrywnja nämlich deutlich günstiger für die Bevölkerung -diese These ist stark zu bezweifeln.

Ihor Kolomojskyj, der zweitreichste Mann der Ukraine, und Julia Timoschenko - eine Liebesbeziehung war das nie, obwohl die beiden Giganten der ukrainischen Wirtschaft und Politik beide aus der Dnipro-Region im Osten der Ukraine stammen. "Auswandern", antwortete Kolomojskyj einmal auf die Frage, was er machen würde, wenn Timoschenko Präsidentin würde. Doch die Zeiten haben sich geändert. In einem Interview mit Radio Swoboda gab der 55-Jährige, der ohnehin meist in der Schweiz lebt, eine klare Wahlempfehlung für Timoschenko ab.

Dunkle Vergangenheiten

Nach der Maidan-Revolution fing Kolomojskyj als Gouverneur von Dnipro an, unterstützte massiv die im Donbass kämpfenden ukrainischen Freiwilligen-Bataillone und stilisierte sich zum Patrioten. Doch als es an sein Vermögen ging, geriet er mit seinem Oligarchen-Kollegen Poroschenko aneinander: Während dessen Amtszeit wurde nämlich Kolomojskyjs "Privatbank", die größte Bank des Landes, verstaatlicht.

Der Clinch könnte für Poroschenko zum Problem werden. Kolomojskyj verfügt immer noch über ein großes Medienimperium, den Fernsehsender "1+1". In der Ukraine gibt es de facto keine Spitzenpolitiker, deren Vergangenheit nicht dunkel wäre. Timoschenko landet in dieser Liste sogar ganz vorn: Als sie zwischen Ende 1999 und Anfang 2001 als Vizepremier für den Energiebereich zuständig war, musste sie zusammen mit ihrem Mann wegen fragwürdiger Deals ihrer Gasfirma "Vereinte Energiesysteme der Ukraine" einige Wochen in U-Haft verbringen. Ihre beiden Amtszeiten als Ministerpräsidentin waren ebenfalls wenig erfolgreich -und während die Anklage wegen des Gasliefervertrages 2009 zu Recht als politisch motiviert gilt, ist Timoschenkos Karriere ein einziges Debakel aus Korruption und Misserfolgen.

Fatalismus in der Korruption

Obwohl der Kampf gegen Korruption ein großes Thema in der Ukraine ist, haben sich viele Bürger längst in den Fatalismus geflüchtet, dass all ihre Politiker irgendwann mal irgendetwas stehlen. Was die Menschen dagegen auf die Palme bringt, ist die Alltagskorruption oder eben spektakuläre Geschichten wie Poroschenkos Urlaub auf den Malediven, die dem einfachen Volk eindrucksvoll vorführen, wie ausschweifend die Elite lebt. Grundsätzlich erwartet man aber gar nicht, dass Politiker ehrlich sind - was Timoschenkos Comeback überhaupt erst ermöglicht.

Timoschenko weiß genau, wann es sich lohnt, zu handeln -und wann sie es besser lassen soll. Im vergangenen Jahr war sie beim legendären Einreiseversuch des georgischen Ex-Präsidenten und Ex-Gouverneurs von Odessa, Michail Saakaschwili, dabei. Saakaschwili, der von Poroschenko seine ukrainische Staatsbürgerschaft aberkannt bekam, hegte politische Ambitionen in der Ukraine.

Die 57-Jährige bemerkte schnell, dass das Potenzial des Georgiers nicht groß genug war, um politisch davon zu profitieren. Ihr kurzfristiges Bündnis mit Saakaschwili war dann schnell wieder passé. Im Westen ist man zwar wenig begeistert von ihrer Präsidentschaftskandidatur, doch auch Poroschenko wird keine große Unterstützung erhalten. Es ist kein Geheimnis, dass man in der US-amerikanischen oder in der deutschen Botschaft in Kiew viel lieber einen dritten aussichtsreichen Kandidaten unterstützt hätte. Doch der ist nicht in Aussicht. Dieses Vakuum nutzt Timoschenko aus.

UNGLÜCKLICHE GESCHICHTE

Der Maidan

Ab 21. November 2013 machen Demonstranten auf dem Maidan in Kiew ihrem Unmut Luft. Zuvor hatte Präsident Janukowitsch das Assoziationsabkommen mit der EU nicht unterschrieben.

Die Bedrohung

Mehr als siebzig Menschenleben fordert der Aufstand, dann flieht der Präsident am 22. Februar nach Russland. Russland zieht von nun an seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen.

Die Annexion

Am 27. Februar 2014 besetzen Separatisten mithilfe russischer Truppen das Regionalparlament auf der Krim. Ein Referendum am 16. März votiert für die Angliederung der Krim an Russland.

Kampf im Osten

In den Oblastni Donetsk und Lugansk liefern ab Februar separatistische, von Russland unterstützte Rebellen der Ukraine einen bewaffneten Kampf. Der Krieg fordert bisher 7.000 Menschenleben.

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