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Von fernen Zielen, Wegen und Kreuzungen - oder wie man sein Herz dem Extremismus öffnet Habib Tengours bestürzend verführerischer Roman über Verführung.

Verführung durch Sprache kann eine indoktrinierende Kunst sein, deren Schattenseiten Gebildete gerne aus dem Weg gehen, wenn sie sie nicht selbst für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Spätestens seit dem 11.9. funktioniert das jedoch nicht mehr. Die Frage, wie man extremistischer Denker und gläubiger Terrorist ohne Tötungshemmung wird, stellt sich vor allem, wenn die Betreffenden Absolventen westlicher Eliteschulen und aus einem familiären Umfeld sind, das diese Entwicklung nicht begünstigte.

Habib Tengour, der in Frankreich lebende, algerische Romancier und Lyriker, hat sich bereits in den frühen Neunzigern mit diesem Phänomen beschäftigt. Aus einem geplanten Filmdrehbuch entstand "Der Fisch des Moses", ein bestürzend verführerischer Text über Verführung. Dass das Buch erst 2002 in Frankreich erschien, liegt daran, dass Tengour ein sorgfältiger Arbeiter ist, jedem Wort verpflichtet - und dass die großen Verlage das Thema des Buches als realitätsfern abtaten, bis die gekaperten Flugzeuge ins WTC donnerten.

Thema ist die Sinnsuche, das verzweifelte Irren junger Männer, die aus unterschiedlichen Gründen enttäuscht ihre Illusionen wahr machen wollen. Es geht also um Unterwegssein, um Söldner und Kämpfer, die ihre trivialen persönlichen Ziele hinter fanatischem Gotteskriegshandwerk verstecken. Alles ist in Bewegung, alles auf Konfrontation aus. Ein permanenter Angriff. Eine fremde Welt.

Macht des Wortes

In einem staubigen Camp an der Straße nach Peschawar liegt Mourad, der Held der Geschichte, auf seiner Matratze und meditiert. Dafür hat er sich einen schwierigen Text ausgesucht und damit ist schon in der Ouvertüre des Romans die Macht des Wortes ein angesprochenes Problem. Was bedeuten überlieferte heilige Schriften wirklich? Wie steht es um ihren Wahrheitsgehalt? Welche Aufgabe fällt Gott zu? Was können wir ihm in die Schuhe schieben, was müssen wir selbst übernehmen? Tengour wählt als Leitmotiv die 18. Sure, einen schwer verständlichen Absatz, der problematisch zu deuten ist. Es geht um Moral, Verantwortung, Vertrauen.

Mourad hat moralisches Empfinden, sehr im Gegensatz zu seinem Kumpel Hasni. Mourad hat jedoch wenig Vertrauen und seine Selbstzweifel hindern ihn im Grunde auch daran, Verantwortung zu übernehmen. Der Krieg der Mudschaheddin gegen die Russen in Afghanistan ist vorüber, Mourad weiß nicht, wie es weitergehen soll, er denkt an Paris, an seinen aufgegebenen Beruf (er ist Physiker), an seine verlassene westliche Geliebte. Frankreich hat ihn enttäuscht, aber das hat der Glaubenskrieg auch.

Hasni hat kein Verständnis für Mourads Meditationen, er weiß, dass sich seine Welt vor einem Umbruch befindet, dass sich der Islam radikalisiert. Er will auf der richtigen Seite stehen, nach der Revolution sein Terrain abstecken, reich werden. Gott ist für ihn Mittel zum Zweck. Trotzdem betrachtet er sich als tief gläubig. Mit Mourad verbindet ihn der gemeinsame algerische Geburtsort, es trennt sie die schulische Erziehung und die Familie. Wie Mourad vor seiner Indoktrinierung gewesen sein muss, wird in dem berührenden Treffen zwischen Mutter und Sohn in einem schäbigen Hotel in Pakistan klar. Aber trotz seines schlechten Gewissens verstößt er die Mutter, verschließt sich die Möglichkeit einer Rückkehr.

Freundschaft und Wärme

Verblüffend ist, wie Tengour die zwei Männer und ihren jungen Freund Kadirou, der ungebildet und fröhlich im Krieg nur ein Abenteuer sieht, erschafft und gestaltet. Da ist sehr viel Witz, Zärtlichkeit, Freundschaft und Wärme, in denen ein plötzlicher Satz über das Töten erst wieder klar macht, dass hier brutale und vor allem amoralische Mörder geschildert werden. Angst, Loyalität, Verunsicherung, Gier und Sehnsucht, alles Gefühle, die sie unterdrücken wollen, und die immer wieder wie Splitterlichter die Dialoge zum Leuchten bringen.

Weil dieser Roman so komplex gebaut ist mit abrupten Szenenwechseln und Schnitten, ist er auch so dicht und überzeugend. Lyrisch komprimierte Schrumpfsätze beschleunigen das Tempo oder lassen den Leser plötzlich innehalten. Wunderbar gelungen ist die Übertragung dieser Sequenzen von der Übersetzerin Regina Keil-Sagawe.

Als Erzählzeit hat Tengour das Präsens gewählt. Die Gegenwart fördert den Einstieg in die Handlung, als säße man im Kino, der Film rollt ab, der Handlungssog verstärkt sich, man ergreift unweigerlich Partei. Kadirou, der verspielte Soldat, wird in die Luft besprengt. Hasni, dieser atemberaubenden Kombination aus Herzlichkeit und berechnender Brutalität, möchte man nie im wirklichen Leben begegnen müssen. Mourad, der Physiker, der an seinen Zweifeln und Selbstmitleid fast erstickt, rührt an und weckt Verständnis. Kein Mitgefühl. Aber immense Trauer um so viele Leben, die so falsch gelebt werden. Doch genau an diesem Punkt stellt Tengour wieder seine Fragen, zu denen die Sure den Kontrapunkt bildet. Und seine gescheiten Dialoge zwingen den Leser, selbst Stellung zu beziehen.

Der Fisch des Moses

Roman von Habib Tengour

Haymon Verlag, Innsbruck 2004

271 Seiten, geb, e 19,90

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