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Jerusalem a la Berlin?

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Jahrelang hat man das zweigeteilte Berlin mit dem zweigeteilten Jerusalem verglichen. Der vornehmlich von Touristen gebrauchte Vergleich war aber schon deshalb falsch, weil die augenfälligsten Voraussetzungen nicht stimmten: in Jerusalem nimmt keiner der beiden Teile von dem anderen auch nur die geringste Notiz. An der Teilungslinie hört für jede der beiden Städte mit dem Namen Jerusalem nicht nur die Stadt und der Staat, sondern auch die zur Kenntnis genommene Welt auf. Seit dem 13. August nun ist es doch etwas anders geworden. Wenn man seit diesem Tag mit einem deutschen Touristen die paar Schritte vom israelischen Postministerium die Hauptstraße hinabgeht, wird der Tourist unfehlbar ausrufen: „Mein Gott, das ist ja genau wie in Berlin!“

Es ist nicht ganz genau so, aber immerhin ähnlich. Die Hauptstraße des israelischen Jerusalem, die Jaffästraße, hört — genau wie die Straße des 17. Juni in West-Berlin mit dem Brandenburger Tor — mit dem Jaffator auf. Man steht plötzlich vor einer Betonwand, die, als Kugelfang gedacht, zwar einen schmalen Durchgang aufweist, der aber ziemlich illusorisch ist, da jenseits der Wand der in ein Niemandsland verwandelte letzte Rest der Jaffastraße beginnt; aus ihrem

Asphalt wachsen hohe Bäume heraus, die von einem undurchdringlichen, etwa 300 Schritte tiefen Stacheldrahtdschungel umgeben sind. Nie noch hat ein Mensch versucht, sich an dieser Stelle über die Grenze zu schleichen; schon deshalb nicht, weil jenseits des Stacheldrahts das hermetisch vermachte Jaffator von der alten Stadtmauer flankiert ist, die, weit höher als die Ost-Berliner Betonmauer, das jordanische vom israelischen Jerusalem eindeutig abschließt.

Keine Wasserwerfer

Damit hört die Ähnlichkeit zwischen Berlin und Jerusalem auf. Hier in Jerusalem wurden die Kriegsruinen beiderseits des Niemandslandes — im israelischen Teil vor allem die des einstigen deutschen Hotels Fast — von ihren Höhlenbewohnern nicht geräumt, die ihrem Leben, von den auf der Stadtmauer sitzenden Wachen nicht gestört, nachgehen können. Hier gibt es weder Wasserwerfer noch Gasgranaten, denn die Beziehungslosigkeit zwischen West- und Ostjerusalem ist eine derart vollständige, daß nicht einmal eine Telephon- oder Postverbindung, von einer Bahn- oder einer Buslinie gar nicht zu sprechen, existiert. Das Niemandsland bedeutet eben für beide Teile das Ende der be wohnten Welt im Sinne des Waffenstillstandsvertrages von 1949.

Genau so vollendet ist die Be- ziehüngslosigkeit zwischen Israel und den benachbarten Staaten außerhalb Jerusalems. Hier aber hört der deutsche Tourist mit einem Schlag auf, Vergleiche zu ziehen, denn wenn auch hier der Grenztod regiert und ein Überschreiten zum Selbstmordversuch macht, gibt es einen sofort ins Auge fallenden Unterschied: an den meisten Stellen ist die Grenze als solche überhaupt nicht bezeichnet, an anderen

Stellen nur angedeutet, so etwa in Beth-tsa-fafah, einem arabischen Vorort von Jerusalem, der zu beiden Teilen der Stadt gehört. Hier zieht sich die Grenze, bezeichnet durch einen einfachen, rostigen Draht, die Dorfstraße entlang und bewirkt eine Situation, die eindeutig die ganze Absurdität des Grenzbegriffes erkennen läßt. Die durch den Grenzdraht getrennten Familien, die einander zum Greifen nahe wohnen, dürfen natürlich nicht miteinander sprechen. Wer aber kann einen Menschen hindern, sich, mit dem Gesicht gegen sein Zimmer auf dem Fensterbrett sitzend, mit etwas erhobener Stimme mit eben diesem Zimmer zu unterhalten, wenn zufällig der Vetter drüben, jenseits der Straße, das gleiche tut?

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