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Sozialdarwinismus

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NATIONALSOZIALISTISCHE FILMPOLITIK. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reiches. Von Dr. Gerd Albrecht. Ferdinand-Enke-Ver-lag, Stuttgart. 116 Tabellen, XI und 562 Seiten. DM 69.—.

Für das kritische Verständnis der Filmproduktion im Dritten Reich bringt die Nachkriegsgeneration nicht nur die Kenntnis umfangreicher (hier zumeist schon ausführlich gewürdigter) Literatur, sondern auch die heute noch mögliche Bekanntschaft mit den sogenannten „Überläufern“, das sind Filme aus der Zeit von 1945 („gereinigten“ oder unverfänglichen), mit — so ist beispielsweise Willi Forsts „Operette“ noch heute zu sehen. Den ganzen Komplex rollt jetzt neuerdings Dr. Gerd Albrecht, der erst im Oktober 1969 durch einen Grazer Vortrag beim Internationalen Kritikerseminar über „Die gesellschaftliche Relevanz christlicher Medienkritik“ Eindruck gemacht hat, von der soziologischen Seite her auf. Das hat Vor- und Nachteile. Vorteile, weil er damit „unter die Haut“ dringt, Nachteile, weil im Text jede Bezugnahme auf konkrete Filme fehlt, die in den (allerdings 237 Seiten, mit 116 Tabellen angereicherten) Anhang verwiesen wird. An die Sprache des Fachmannes gewöhnt man sich, wenn man auch dann noch an Worten wie „eufunk-tionell“, „Redundanz“ und anderen hängen bleibt — man wird dafür durch Treffer ins Schwarze wie „Hitlers Sozialdarwinismus“ entschädigt. Im ganzen: ein gescheites und — notwendiges Buch. Adolf Hitler selbst war am Film nur mittelbar interessiert; die Schwerpunkte nationaler Propaganda sah er in der Rede in der Massenversammlung und in der Presse, allenfalls noch im Plakat und Flugblatt. Dafür fand er in Joseph Goebbels einen hingebungsvollen Interpreten seiner Ideen in „Mein Kampf“, angewendet auf den Film. Dieser virtuose Trompeter von Babelsberg verwirklichte in dem raffiniert gesponnenen Netz seiner vertikalen Filmorganisation nicht nur das Führerprinzip in Reinkultur (Autorität nach unten, Verantwortung nach oben), wofür sein Ausspruch „In der Domäne der Filmkunst ist in der unmittelbaren Direktive die wichtigste und wahrhaft schöpferische Ermunterung zu sehen“, bezeichnend ist; er tränkte auch die ganze Filmproduktion des Dritten Reiches mit jener heldischen, „kämpferischen“ NS-Ideologie, zu der er einmal meinte: „Uns schwebt als Ideal vor eine tiefe Vermählung des Geistes der heroischen Lebensauffassung mit den ewigen Gesetzen der Kunst.“

Dabei unterstreicht Albrecht richtig, es sei eine unzulässige Vereinfachung, wenn man als Prinzip der NS-Filmpolitik die Lüge ansehe; dies sei vielmehr „die Nützlichkeit für die Vergrößerung der Einsatzbereitschaft“ gewesen. Ob nicht gerade darin die tiefste Diabolik des nationalsozialistischen Propaganda-Trommelfeuers gelegen ist, das jahrelang, in Krieg und Frieden, auf uns niederprasselte?

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