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Deutschtümelei?

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Nach der neuesten Statistik des Bundesministeriums des Innerenleben auf dem Gebietder Bundesrepublik 4,146.000 Ausländer, 1984 waren es noch 4,470.000, also eine fallende Tendenz. Der Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung insgesamt pendelt zwischen sieben und acht Prozent.

Doch weniger das Ausländerproblem speziell erzeugt politische Brisanz, sondern das der Asylbewerber, Aus- und Übersiedler.

Ausländer sind alle jene Personen, die in der Bundesrepublik aus welchem Grund auch immer ihren ordentlichen Wohnsitz und eine Aufenthaltserlaubnis besitzen. Im Zuge der Konjunktur der späten fünfziger und frühen sechziger J ähre wurden Arbeitskräfte benötigt, die vor allem axis Südeuropa in die Bundesrepublik strömten: Aus Spanien, Portugal, Italien, Jugoslawien und vor allem aus der Türkei. Gerade letztere Gruppe, bereits weit mehr als eine Million, hat durch ihre nicht-christliche Kultur Anpassungsschwierigkeiten. Asylbewerber strömen vor allem in den letzten eineinhalb Jahren in dip Bundesrepublik. Als wohl einziges Land der Welt findet sich im Artikel 16 des soeben 40 Jahre alt gewordenen Grundgesetzes das Recht auf Asyl.

Auch die Aussiedler können sich auf das Grundgesetz (Artikel 116) berufen. Es sind jene Deutschen axis den ehemaligen Ostgebieten (östlich der Oder-Neiße) und „Volksdeutschen“ (darxinter die „Wolgadeutschen“), die Ende der vierziger Jahre nicht in das Gebiet der heutigen Bxindesrepublik, der DDR oder Österreich übersiedelt sind, oder vertrieben wurden.

Nach dem Grundgesetz sind sie,

sofern sie es wollen, bei Überschreiten der Grenze Deutsche. Das Problem bei dieser Gruppe liegt vor allem darin, daß sie über vierzig Jahre in keinem deutschen Kultur- kreis gelebt haben xmd selbst ältere Leute nicht mehr der deutschen Sprache mächtig sind. Da sie aber nxm Deutsche sind, erhalten sie - etwa im Gegensatz zu Asylbewerbern - bevorzugte Hilfe (Wohnxingen, Sozialhilfe, Renten xmd so weiter). Vor allem die Woh- nungszuteilxmg war in Berlin ein politischer Streitpxmkt, der Neidgefühle hervorgemfen hat.

Übersiedler sind Bürger axis der DDR, denen die legale Axisreise gehangen ist. Sie sind auch automatisch Deutsche im Sinne des Grundgesetzes.

Die Tabelle zeigt die Entwicklung dieser lętzten drei Gruppen von 1987 bis 1989. Die Tendenz ist stark steigend. Da die Zahl der Ausländer - unter ihnen die „klassischen “ Gastarbeiter - insgesamt rückläufig ist, werden in Hinkunft Asylbewerber xmd Axis/Übersiedler noch stärkere politische xmd soziale Be deutung erlangen.

Die politischen waren bereits spürbar. Untersuchxmgen haben gezeigt, daß Aussiedler xmd Asylbewerber in Berlin den Zulaxif zu den Republikanern gebracht hatten. Die soziale Komponente erlangt zxise- hends Bedeutxmg, da es die Gemeinden sind, die vorerst durch Zuteilung die Last dieser ständig steigenden Zahl zu tragen haben. Mit welchen Mitteln man diese Probleme lösen will, darüber herrscht nxir wenig Einigkeit.

Eine Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes, xim dem Asylstrom Herr zu werden, wird im Bundestag die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht finden. Geplant ist ein rasches Verfahren zur Fest- stellxmg der Asylberechtigxmg. Es ist unzumutbar, Asylbewerber bis zu zwei Jahre in der Bxindesrepublik zu belassen xmd erst dann festzustellen, daß kein Asylrecht vorliegt Dann die Betreffenden abzuschieben, bedeutet oft sehr schwere menschliche Härten. Die Behörden sind auch oft bei ihren Entscheidungen überfordert, ob es sich xim einen „Wirtschaftsflüchtling“ handelt oder xim einen, der wirklich verfolgt oder gar gefoltert wurde.

Den Aus- xmd Ubersiedlerstrom zu stoppen, liegt nicht im Sinne der Bundesrepublik xmd des Artikels 116 Grxmdgesetz. Bedauerlicherweise werden in der politischen Diskussion Asylbewerber xmd Aussiedler gegeneinander ausgespielt. Die politische Linke (SPD,Grüne) hat sogar in der Person von Oskar Lafontaine bezüglich der Aussiedler der Bxin- desregierung „Deutschtümelei“ vorgeworfen.

Eine andere Tatsache ist die, daß der vermehrte Zustrom von „Deutschen im Sinne des Grundgesetzes“ auch den Geburtenrückgang wettmacht. Und da es sich dabei auch oft um jüngere Leute handelt, verweist man mit Recht axif künftige Rentenzahler xmd Wehrpflichtige. Dieser Strom kann langfristig nur dann gestoppt werden, wenn in den Axis- siedlerländem (vor allem Sowjetunion, Polen, Rumänien) wirtschaftliche xmd politische Zxistände herrschen, die ein Aus- beziehxmgswei- se ein Übersiedeln (von der DDR) nicht mehr zwingend notwendig erscheinen lassen.

Die Bemühungen xim Schaffung einer eigenen autonomen Republik für die Deutschen in der Sowjetunion mit Hilfe der Bundesrepublik (FURCHE 13/1989) weisen in diese Richtung. Parallel zur politischsozialen Dimension ist Ende letzten Jahres in diesem Zusammenhang der Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ von CDU-Generalsekretär Heiner Geißler eingeführt worden, der aber nicht zur Befriedung beigetragen hat, sondern die Diskussion nur noch mehr anheizte.

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