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Ein Zeichen der Völker

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Im Norden Galiläas, einige Kilometer von der libanesischen Grenze, gibt es seit über zwanzig Jahren ein christliches Dorf, das sich ejine besondere Aufgabe gestellt hat. „Nes Ammim" ist eine Gemeinschaftssiedlung in der Form eines Moshavs und wird von Christen verschiedener Konfessionen und Länder bewohnt. Ihre Aufgabe sehen sie in einem aktiven Dialog mit dem Judentum und darin, Christentum einmal von einer anderen Seite zu zeigen, als es die Juden bisher erfahren haben.

„Nes Ammim" heißt „Zeichen der Völker" (Jes 11,10), und das wollen die Dorfbewohner sein: ein Zeichen für den Neubeginn einer Beziehung, die 1800 Jahre lang von Mißverständnis und Haß geprägt war und die schließlich in der Nazizeit in den Gaskammern von Auschwitz ihren tragischen Höhepunkt erreichte.

In dem Memorandum von 1960 an die israelische Regierung ist zu lesen: „Die unglückliche Geschichte der Beziehung zwischen Juden und Christen während der Jahrhunderte der Verbannung Israels, auch die schwere Verantwortung, die die Christenheit direkt oder indirekt für das ungeheuer schwere Leiden der Juden trägt, haben eine Kluft zwischen Juden und Christen geschaffen, die nur durch sehr gezielte moralische und geistige Bemühungen geheilt werden kann."

Christen wollen in Nes Ammim aus Uberzeugung nicht Mission treiben, sondern das Gespräch und den offenen Austausch mit den jüdischen Menschen suchen, indem sie das Alltagsleben vieler Israelis teilen. Sie wollen vom Judentum lernen und so die eigenen christlichen Wurzeln wiederentdecken. So bricht die Erkenntnis auf, daß Jesu Jude-sein viel zu wenig bedachte Konsequenzen hat und Jesus uns deshalb mit dem Judentum verbindet und nicht trennt.

Getragen wird Nes Ammim von vier Heimatvereinen in Holland, Deutschland, Schweiz und den USA, die wiederum von verschiedenen christlichen Kirchen gestützt werden, so z. B. in Deutschland von der rheinischen Landeskirche. Neben den vielen kirchlichen Dokumenten, in denen das christlich-jüdische Verhältnis neu überdacht und bestimmt wird, sei auf katholischer Seite die im August 1982 erschienene pastorale Handreichung erwähnt: „Text der Pastoralkommission Österreichs — Die Christen und das Judentum".

Mit Bezug auf die Konzilserklärung „Nostra Aetate" wird zu einem besseren Verständnis und Dialog aufgefordert: „... daß die Christen danach streben, die grundlegenden Komponenten der religiösen Tradition des Judentums besser zu verstehen, da die notwendige Information über diese Fragen alle Elemente der christlichen Lehre und Bildung betrifft." Hier finde ich auch die Zielsetzung von Nes Ammim bestätigt.

Ich selbst, der ich diesen Artikel schreibe, bin nun seit einem Jahr in Nes Ammim und nehme teil an dem Arbeits- und Informationsjahr für Freiwillige, die für ein Jahr in Nes Ammim mitarbeiten und mitleben wollen. Geboten wird ein umfangreiches Informationsprogramm zu den Themen Judentum, christlich-jüdische Verständigung, Land Israel und aktuelle Politik. Abgerundet wird das Programm durch Seminare; so wurde in meinem Jahr ein Holocaust-Seminar im Mai und ein Abschlußseminar des Arbeitsjahres im Juni gehalten.

Viele neue Welten öffnen sich und neue Erfahrungen werden hier gemacht. Persönliche Kontakte und Freundschaften mit Juden und Arabern werden geschlossen. Die Arbeit ist hart, besonders im Winter, wenn die Rosen, die hier gezüchtet werden, in den Export gehen.

Rückblickend auf dieses Jahr in Israel muß ich feststellen, daß mir die Begegnung mit dem Judentum und Israel, aber auch mit den verschiedenen christlichen Konfessionen im Dorf selbst eine große Horizonterweiterung gebracht hat. Ein Jahr mit Höhen und Tiefen, aber immer mit neuen Ausblicken.

Nes Ammim — Zeichen der Völker: letztlich ist es ein Zeichen für mich selbst geworden. Ein Zeichen der neuen Möglichkeiten christlichen Lebens, das, wie ich glaube, mich einen Schritt näher zu den Ursprüngen und damit auch einen Schritt näher zum Verständnis des Judentums herangeführt hat.

Der Autor, 21 Jahre alt, war VEW-Schlos-ser in Ternitz und in der KJ der Pfarre Neunkirchen aktiv, ehe er nach Nes Ammim ging.

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