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Nicht gewarnt

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Noch vor ein paar Monaten hätten die meisten Politiker der westlichen Welt nachsichtig lächelnd den Kopf geschüttelt, wäre ihnen ein Schriftsteller mit der Vorstellung von der ungeheuren politischen Brisanz von Büchern gekommen. Aber nach Salman Rushdie?

Die Wirkung Alexander Solschenizyns mochte manche Staatsmänner beeindruckt haben, aber die gewaltigen Intentionen, die von seinem ,fEin Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“, seinem ,Jm ersten Kreis der Hölle“ und dem ,Archipel Gulag“ ausgingen, wurden in den Regierungskreisen des Westens kaum begriffen. An den Folgen der Satanischen Verse“ kommt jedoch kein westlicher Staat vorbei.

Die westlichen Politiker erwiesen sich bereits mehrmals als besonders leseunwillig, etwa als es notwendig gewesen wäre, Adolf Hitlers ,fMein Kampf zu studieren und ernst zu nehmen. Es gab immerhin Gelegenheit, die Schriften Ajatollah Khomeinis, als dieser sich noch im Pariser Exil befand, in aller Ruhe anzusehen, um zu erfahren, was dieser Mann nach seiner Rückkehr in den Iran vorhatte. Dort ist nämlich sehr genau enthalten, was er später mit ungeheurer Energie ausführte.

Die meisten Staatsmänner — und übrigens auch die Zeitungen — waren mit dem Sturz des Schah sehr zufrieden und erwarteten — man muß heute bitter lachen, wenn man nachliest — von Khomeini eine Art Liberalität: zumindest im Vergleich mit der Haltung des Schah.

Im Fall Salman Rushdies wurde das Wesen des islamischen Fundamentalismus nur auf die Probe gestellt, aus welchen Motiven immer. Und deutlicher hätte sich dieses Wesen selbst nicht darstellen können. Ist es für den Westen nicht ein Vorteil, daß jetzt wenigstens unübersehbar klar wird, welchen Gefahren wir gegenüberstehen?

Hat uns nicht die einseitige Orientierung der bis vor kurzem antisowjetischen Dominante der amerikanischen Politik ein reichlich trügerisches Bild der Welt entworfen?

Gewiß wäre es falsch, Khomeinis Verhalten mit dem Wesen der gesamten islamischen Sphäre zu identifizieren. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß unsere westlichen Ideale keineswegs überall in leuchtender Evidenz überzeugen.

Politiker sollten mehr lesen. Dann wären sie weniger vom Irrationalismus der lebendigen Weltgeschichte überrumpelt — denn in manchen •Büchern war dieser längst vorher angekündigt.

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